"Frau Yeoms kleiner Laden der großen Hoffnungen": Zauberhafter Roman
Kim Ho-yeon erzählt die Geschichte eines kleinen Tante-Emma-Ladens in Seoul und der vielen unterschiedlichen Menschen, die hier arbeiten und einkaufen. Ein Buch voller Menschlichkeit und Hoffnung.
Frau Yeoms kleiner Supermarkt in Seoul ist nicht ideal gelegen: Nebenstraße, wenig Laufkundschaft. Aber zum Leben reicht es. Hier kann man Alltägliches kaufen und auch Fertiggerichte in der Mikrowelle aufwärmen und essen, in Südkorea durchaus üblich. Eines Tages wird Frau Yeom der Geldbeutel gestohlen, ein obdachloser Mann hat es den Dieben aber abgenommen und gibt es ihr zurück.
Da saß er, langes Haar, verfilzt wie ein Wischmopp, in einer dünnen Sportjacke und einer schmuddeligen Stoffhose. (…) Der Mann nickte und sah sie an. (…) Der Mann nahm den Beutel (…) und reichte ihn ihr. Doch gerade als sie danach greifen wollte, zog er die Hand zurück. Er musterte ihr erstauntes Gesicht und öffnete den Beutel. "Was soll das?" "Gehört der Beutel…wirklich ihnen?" Leseprobe
Der Mann ist ein wirklich ungewöhnlicher Typ. Beim Sprechen zögert er. An seine Vergangenheit kann er sich nicht erinnern, nicht mal daran, wie er wirklich heißt. Dok-go nennt er sich, im Koreanischen steht das für "alleine" und "einsam". Erst lädt ihn Frau Yeom zum Essen in ihren Laden ein, später macht er sich dann hier und da ein bisschen nützlich. Frau Yeom gibt ihm schließlich einen Job.
Kim Ho-yeon schaut hinter seine Figuren
Es ist ein herzerwärmendes Buch. Autor Kim Ho-yeon schaut hinter die Kulissen der Menschen. Der Obdachlose ist edel. Der schwierige Kunde hat Probleme zu Hause. Die junge Angestellte, die irgendwie feststeckt im Leben, sie findet plötzlich ihr Potential. Das Ganze ist charmant erzählt, es ist schwer beim Lesen nicht zu lächeln. Der Webseite K-Book Trends sagte Autor Kim Ho-yeon, was für ihn das Wichtigste beim Schreiben ist: Zunächst die Figuren. Dann die Figuren. Und als Drittes: die Figuren. Die Handlung ist ein Spielplatz für die Figuren und der Ablauf so eine Art Stundenplan. Aber man muss die Figuren verstehen und über ihre Menschlichkeit schreiben. Und über ihre Konflikte."
Und seinen eigenen Maßstab setzt er konsequent um. Das Buch teilt sich in lange Episoden auf, die alle verschiedene Figuren im Zentrum haben. Da gibt es zum Beispiel die erfolglose Schriftstellerin In-gyeong. Sie findet einfach keine guten Geschichten mehr. Der Zufall treibt sie in Frau Yeoms Laden. Dort trifft sie den schrillen Dok-go. Und plötzlich rotiert es in ihr.
In-gyeong war sprachlos. Der war ja noch merkwürdiger, als sie gedacht hatte. Aber diesmal fand sie ihn nicht unbedingt nervig, sondern irgendwie ganz interessant. (…) In-gyeong wollte nun mehr wissen über diesen skurrilen Kerl (…). "Was haben sie denn früher gemacht?" (…) "Waren sie in einer kriminellen Bande?" Leseprobe
War er nicht - es ist würdevoller, tragischer und schöner.
Ein Buch voller Menschlichkeit und Hoffnung
Das ist ein ziemliches Kunststück, was das Buch da hinbekommt. Es könnte so kitschig sein. Frau Yeom ist mit ihrem Sohn zerstritten, fast alle Figuren sind einsam - hat man alles ähnlich schon öfter gelesen. Und doch berührt es, wie die Figuren sich hier näherkommen, hat einen ganz eigenen Zauber. Es ist ein Buch voller Menschlichkeit und Hoffnung. Am Ende hat Dok-go eine schöne Erkenntnis, als er darüber nachdenkt, wie er mal fast von der Brücke gesprungen wäre.
Flüsse sind nicht dazu da, dass man in ihnen ertrinkt, sondern dazu, dass man sie überquert. Und auch Brücken sind zum Überqueren da, nicht zum Herunterspringen. Leseprobe
Frau Yeoms kleiner Laden der großen Hoffnungen
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Koreanischen von Jan Henrik Dirks.
- Verlag:
- hanserblau
- Bestellnummer:
- 978-3-446-28000-7
- Preis:
- 22 €