Ein Fest für Philologen: Peter Handkes "Die Ballade des letzten Gastes"
Kurz vor seinem 81. Geburtstag legt Peter Handke einen längeren literarischen Text vor, in dem sich vieles aus seinem Werk noch einmal bündelt. "Die Ballade des letzten Gastes"
Von Peter Handke hat noch jeder den leicht indignierten Satz im Ohr, er komme von Homer. So ließ er die Welt wissen, als er den Literaturnobelpreis erhielt: "I come from Homer, I come from Cervantes, this is my origins, I come from Tolstoi. This is my innermost world."
Peter Handke wiederholt alte Motive
Tolstoi und Cervantes werden in Handkes "Ballade des letzten Gastes" nicht zitiert, dafür aber immer mal wieder Homers "Odyssee". Etwa, wenn es um jene "Flocke des Schlafs" geht, in welcher der erschöpfte Odysseus in Homers Epos ruht. In seinem Buch "Die Wiederholung" hatte sich Handke bereits 1986 auf diese Formulierung bezogen.
Wie dieses Spätwerk des bald 81-Jährigen überhaupt eine einzige Wiederholung, eine Reprise etlicher Motive aus seinem Œuvre ist. Das macht die Lektüre zu einem Fest für Philologen. Aber ist es auch eines für Leser? Es ist eine alte Geschichte, die Peter Handke in "Die Ballade des letzten Gastes" erzählt.
Die Rückkehr des Gregor Werfer
"Diese Begebenheit geistert, naturverwandelt, das heißt, ohne ein Zutun, von Anbeginn durch meine Bücher, meine epischen Exkursionen beziehungsweise Ein-Mann-Expeditionen." So, wie er es 2019 in seiner Stockholmer Nobelpreis-Rede skizzierte, kehrt in seinem jüngsten Buch nun abermals ein gewisser Gregor Werfer von einer seiner nicht näher bezeichneten "Ein-Mann-Expeditionen" in seine Heimat zurück.
Dieser Gregor trägt nicht nur denselben Namen wie Handkes Onkel, er ist auch so wie jener Oheim seit einer Kinderkrankheit auf einem Auge blind. Und obwohl er gerade davon Nachricht erhalten hat, dass sein jüngerer Bruder Hans im Krieg gefallen ist, enthält er diese Information der ahnungslosen Familie vor. Statt Vater, Mutter und Schwester das Schreckliche mitzuteilen, wandert er umher und treibt sich "als Gast unter Gästen" in verschiedenen Dorfschänken und Spelunken herum.
Eine wahre Familienepisode
Peter Handke hat diese wahre und für sein "Schreiberleben entscheidende" Familienepisode in unsere unmittelbare Gegenwart übersetzt. Gregor, den Handke-Leser genauso wie seine Geschwister Hans und Sophie schon aus seinem dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" (1981) sowie aus seinem Roman "Die Obstdiebin" (2017) kennen, kommt deshalb nicht 1943 von der "russischen Krimfront", sondern in unserer Zeit per Transkontinentalflug von einem fernen Kontinent in die Heimat zurück. Die Nachricht von seinem als Fremdenlegionär gestorbenen Bruder hat er auf seinem "Taschentelefonbildschirm" gelesen.
In der wohl eher unfreiwillig komischsten Szene des Buches erregt sich Gregor im "Kinokomplex" der nahen Stadt so sehr über eine Sexszene auf der Leinwand, dass er sich angesichts dieser "Zuschauerrechtsverletzung" in ein "Nieder mit der Demokratie, (...) her mit einer Diktatur, einer neuen, einer, die verbietet, was verboten gehört" hineinsteigert. Was wäre Handke nur ohne seine Idiosynkrasien und seinen Jähzorn! Man möchte ihm auf derlei mit seinen eigenen Worten antworten: "Solch Idiotentum als politisches Programm?"
Für Fans ein Muss - alle anderen werden sich langweilen
Kurzum, dieses Buch mit all seinen "Niemandsflecken" und "Baumschattenwinkeln" wirkt wie das Medley altbekannter Handke-Songlines. Dieser Autor hatte immer eine Gemeinde. Seine Fan-Base wird die Melodei erkennen und goutieren. Alle anderen werden der Sache rasch müde sein. Die hochfahrende Feierlichkeit des Tons wird sie fadisieren, gut österreichisch: langweilen. Vielleicht ist es gar kein Zufall, dass sich sein literarisches Alter Ego ein T-Shirt kauft, auf dem "FADED GLORY" gedruckt steht.
Die Ballade des letzten Gastes
- Seitenzahl:
- 185 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43154-2
- Preis:
- 24 €