"Die Frau mit den vier Armen": Düsterer Hannover-Krimi
In Jakob Noltes Krimi geht es nur an der Oberfläche um das Lösen eines Mordfalls. Vielmehr schreibt der Autor über die Fallstricke, die Abgründe und Kuriositäten des menschlichen Miteinanders.
Im Ihmepark liegt ein junger Mann tot an einem Baum. Gefunden wird er zufällig von Kriminalkommissarin Rita Aizinger.
Bei dieser Kälte im Ihmepark zu schlafen, schien ihr keine gute Idee. Sie kniete sich zu dem jungen Mann.
"Hallo?", fragte sie.
Er antwortete nicht.
"Hallo?", fragte sie.
Er blieb ausdruckslos liegen.
Sie hielt ihm den Zeigefinger unter die Nase und wartete ein paar Sekunden. Ein Hauch würde reichen.
"Halt dein Maul", sagte sie.
Es kam kein Hauch.
Leseprobe
Mit der Protagonistin, der fluchenden, motorsportversessenen und auf Pressekonferenzen übers Ziel hinausschießenden Kommissarin Rita Aizinger, hatte Jakob Nolte den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte gefunden. "Für mich ist es eine sehr traurige Figur, die aber sehr große Sehnsucht danach hat, glücklich und zufrieden zu sein (...). Irgendwie hat die Probleme mit der Welt und trotzdem hat sie eine sehr große Sehnsucht danach, mit dieser Welt ins Reine zu kommen und aufrecht dazustehen. Das ist etwas, was ich sehr an ihr mag", sagt Nolte.
Eine unprofessionelle, aber liebenswerte Ermittlerin
Der Fall, der sich für Rita Aizinger und ihre Kolleginnen und Kollegen entspinnt, spielt im studentischen Milieu im Hannoverschen Stadtteil Linden. Einem Stadtteil, in dem auch Jakob Nolte als Jugendlicher viel Zeit verbrachte. Die Figuren, die er zeichnet, haben alle ihre kleinen oder großen Eigenheiten. Sie sind einsam, traurig, überfordert und/oder kurios. Ein alter Fall von Rita Aizinger scheint mit dem neuen Mord zusammenzuhängen. Die Polizei gibt eine Pressekonferenz, die völlig aus dem Ruder läuft:
"Sie meinen also, der Mord wurde von außerhalb verübt?"
"Wir haben es hier mit Auftragsmorden zu tun. Sebastian Tamm und Jonas Hartung wurden hingerichtet. Von einer sanften Henkerin."
"Einer Frau?"
"Das wissen wir natürlich nicht", sagte Ilia.
"Aber wünschenswert wäre es", sagte Rita.
"Wünschenswert wäre es", wiederholte Fatma de Jong von der HAZ, "ist notiert."
"Für mich macht es keinen Unterschied", sagte die Polizeipräsidentin.
Rita knibbelte weiter an ihrem Pickel, unter ihren Fingernägeln sammelte sich Blut.
"Und die Tattoos?", fragte Fatma de Jong von der HAZ.
"Sowohl Jonas Hartung wie Sebastian Tamm hatten sich eine Hand in die Achselhöhle tätowieren lassen."
"Eine Serientäterin?"
"Warum nicht!", sagte Rita. "Wir könnten es hier mit einer Welle der Gewalt zu tun bekommen, die Leichen wie Treibholz am Strand zurücklässt."
"Vielleicht sollten wir an dieser Stelle -", sagte Ilia.
"Eine sanfte Henkerin?", fragte Fatma de Jong von der HAZ.
"Eine sanfte Henkerin", sagte Rita.
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Rita lässt sich hinreißen. Sie ist unprofessionell, leidenschaftlich, verquer und dadurch nahbar und liebenswert. Ihr Beruf ist anstrengend und selbstausbeuterisch auf mehreren Ebenen. "Was bedeutet dieses Grübeln? (...) in der Psychoanalyse sagt man, dass Grübeln eine Form von Depressionen sein kann - wenn man immer nur über die gleichen Dinge nachdenkt und sich so im Kreise bewegt. Dass das aber die Arbeit ist, die die Kommissarin oder der Kommissar da leisten müssen, das fand ich ganz interessant", erzählt Nolte.
Die Abgründe des menschlichen Miteinanders
In diesem Krimi geht es nur an der Oberfläche um das Lösen eines Mordfalls. Vielmehr schreibt Jakob Nolte über die Fallstricke, die Abgründe und Kuriositäten des menschlichen Miteinanders und über den Versuch, dem Leben einen Sinn zu geben. Auch wenn die Handlung düster ist, die Handelnden depressiv und mordend durch Hannover ziehen: Das Buch macht Spaß!
Die Frau mit den vier Armen
- Seitenzahl:
- 235 Seiten
- Genre:
- Krimi
- Verlag:
- Suhrkamp Nova
- Bestellnummer:
- 978-3-518-47416-7
- Preis:
- 20 €