"Der perfekte Kuss": André Kubiczeks Coming-of-Age-Geschichte
André Kubiczeks Roman "Skizze eines Sommers" stand 2016 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Vier Jahre später schrieb er eine Fortsetzung und jetzt vollendet er die Trilogie um den Potsdamer Jugendlichen René.
September 1986, der Sommer ist zu Ende und René kehrt aus Potsdam zurück nach Halle ins Internat. Dort soll er noch ein Jahr auf sein Studium in der Sowjetunion vorbereitet werden. An diesem Lebensplan zweifelt René seit einiger Zeit, aber Pläne werden in der DDR langfristig und vor allem von anderen gemacht. Und eigentlich ist René gerade nur eines wichtig: Rebecca.
Theoretisch waren wir ein Paar, Rebecca und ich. Aber praktisch? Wir hatten regelrecht beschlossen eines zu sein, am Tag der Zeugnisausgabe war das passiert, im D-Zug nach Berlin, und in sogenanntem gegenseitigen Einvernehmen. Leseprobe
Lässig, sehr komisch und berührend zugleich
Aber etwas ist seltsam an Rebecca. Sie ist wie ein Geist. Nie meldet sie sich bei René, es gibt keine Briefe und bei ihrer Tante, bei der sie angeblich wohnt, öffnet niemand die Tür. Trost und Ablenkung findet René in Büchern und in der Musik. Die diente, so sagt André Kubiczek, damals natürlich als ein wichtiges Mittel zur Identifikation: "Und der Abgrenzung zu anderen Jugendlichen, was fast noch wichtiger war als die Musik selber. Aus der Musik folgte der Stil der Klamotten und die Frisuren. Und der beunruhigte Staat hat diese Abweichungen vom ästhetischen Durchschnitt damals tatsächlich ernst genommen. Ich selber habe New Wave gehört, englische Gitarrenbands wie die Smiths, Industrial-Sachen wie Cabaret Voltaire oder Einstürzende Neubauten. Und New Order natürlich, von denen ich mir den Romantitel mehr oder weniger geborgt hab."
"Perfect Kiss" von New Order aus dem Jahr 1985 gab dem Buch seinen Namen. André Kubiczek erzählt darin eine Liebes- und Coming-of-Age-Geschichte. Und er vermag etwas ganz Besonderes: Er kann ungemein lässig, sehr komisch und berührend zugleich über den Zauber und Schrecken vom Jungsein erzählen. Seine Sprache ist einfach, aber nie simpel, der Ton lakonisch und unterschwellig zart melancholisch.
Lustige Anspielungen auf das Leben in der DDR
Kubiczeks Roman spielt in den späten Jahren der DDR. Ist er damit automatisch ein DDR-Roman? "Ja und nein", antwortet Kubiczek. "Es ist vor allem ein Roman über das Erwachsenwerden, das sich allerdings vor dem Hintergrund der DDR vollzieht. Klar gibt es Themen wie die erste und die zweite Liebe, die Freundschaft, die Zukunftsträumereien, die universal sind. Andere Themen aber, wie zum Beispiel das Balancehalten zwischen Opportunismus und Rebellion, sind natürlich den gesellschaftlichen Bedingungen der späten DDR geschuldet. In dieser Dringlichkeit hat sich so eine Frage zum Beispiel, würde ich behaupten, in der alten Bundesrepublik nicht unbedingt gestellt."
Möglicherweise ist es für Menschen, die nicht in der DDR aufgewachsen sind, schwierig, so manche Chiffre zu verstehen. Um den Roman zu mögen, ist das natürlich absolut nicht nötig. Aber lustig sind viele Anspielungen schon. Wie beispielsweise diese, die jeder kapiert, der in der DDR einen Schulabschluss gemacht hat:
In Staatsbürgerkunde nahmen wir das nächste Werk von Lenin durch, aber ich will euch nicht schon wieder auf die Nerven fallen mit Lenin, deshalb für Rätselfreunde nur so viel: Der Titel dieses Werkes bestand aus zwei Wörtern, die eine Frage formulierten. Eine Frage im Übrigen, die ich mir ständig und auf allen Wegen selber stellte. Leseprobe
Der gesuchte Titel heißt übrigens "Was tun?", ein Standardwerk von Lenin.
"Der perfekte Kuss" ist ein berührender Roman über erste Liebe, große Gefühle und jugendliche Rebellion. Und über den Beginn einer Zeitenwende, die sich ganz sacht ankündigt.
Der perfekte Kuss
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-7371-0120-2
- Preis:
- 24 Euro €