"Das Orakel spricht": Comic nimmt Selbstoptimierungswahn aufs Korn
Die Comiczeichnerin Liv Strömquist entschlüsselt in ihrem neuen Band "Das Orakel spricht", was Wellness und Happiness mit uns machen und deckt auf, dass der Tod uns durch konsequentes Verbannen immer mehr auf die Pelle rückt.
Liv Strömquist ist eine der einflussreichsten feministischen Comiczeichnerinnen. Die schwedische Künstlerin, Jahrgang 1978, beschäftigt sich in ihren Büchern mit den Zwängen der Konsumgesellschaft, mit patriarchalen Strukturen, mit der weiblichen Sexualität oder mit unseren merkwürdigen Verhaltensweisen im Leben.
Liv Strömquist stellt Fragen und findet Antworten
Das Schöne an den Büchern von Liv Strömquist ist die Unbefangenheit, mit der sie ihre Themen angeht. Gleichzeitig sind ihre Texte fundiert und genau recherchiert, wenn auch mit einer Liebe zur Zuspitzung. "Ich beginne mit einem Thema, und die Idee ist noch unfertig und wächst dann Stück für Stück", erklärt Strömquist. "Das fühlt sich an, als sei man unterwegs, als würde man durch einen Wald laufen - aber es ist keine gerade Straße, an deren Ende man das Ziel schon sieht. Ich gehe eher durch einen Wald, ich nehme einen Pfad, hebe einen Stock auf, wechsle die Richtung, und der Antrieb ist immer Neugierde. Auch wichtig ist, dass ich der ersten Idee immer folge. Ich arbeite sehr intuitiv, und es passiert ganz selten, dass ich die Grundidee ändere."
Diese Freude am Entdecken, am Ausprobieren merkt man den Texten und Zeichnungen an. Auch in ihrem neuen Band "Das Orakel spricht" spürt Liv Strömquist gesellschaftlichen Tendenzen nach, stellt Fragen und findet Antworten. Das ist - wie stets in ihren Comics - bitter und komisch zugleich. Wenn sie etwa den Selbstoptimierungswahnsinn beleuchtet:
"Hallo ich bin Flóki! Ich verrate euch mal meine Mittwochmorgen-Routine: Ich stehe um fünf Uhr auf, schabe mir zuerst mal die Zunge, dann mache ich 25 Minuten Pilates und schließe mein Morgentraining wie immer damit ab, meinen ganzen Körper abzubürsten."
"Ich bin Flurry! Ich stehe um 4.30 Uhr auf und trinke einen Liter Wasser mit frischen Minzblättern. Dann mache ich einen Oil-Pull, eine alte ayurvedische Kur, bei der man 20 Minuten mit Öl gurgelt, um die Lymphdrüsen zu entgiften und die Haut geschmeidig zu machen. Dann gehe ich 10.000 Schritte."
"Ich bin Sierra! Ich stehe jedem Morgen um 5.15 Uhr auf und trinke fünf Liter Wasser. Dann jogge ich zehn Kilometer, dann knutsche ich mit meinem Mann. Dann kuschle ich mit meinem Hund. Dann schwimme ich 3.000 Meter. Dann rudere ich 1,5 Stunden. Dann wecke ich meine Kinder und mache sie für die Kita fertig."
Leseprobe
Die Angst vor dem Tod
Liv Strömquist nimmt Versatzstücke aus der Popkultur oder der Geschichte, arbeitet sie wissenschaftlich auf, zeichnet sie und stellt so eine Verbindung zur Leserschaft her. Im neuen Band geht’s um Selbstoptimierung, das Orakel von Delphi, in dem ältere Frauen die Zukunft wahrsagten, es geht um die Angst vorm Tod, dem man ja so oder so nicht entrinnen kann und der, durch den Glauben daran, wir könnten etwas an unserer Sterblichkeit ändern, zum ständigen Begleiter wird.
Statt das man denkt: DER TOD IST GRUNDVORAUSSETZUNG FÜR ALLES! WE’RE IN THIS TOGETHER!! WIR WERDEN ALLE STERBEN!, versteht man jeden Tod als etwas Individuelles:
"Flóki wäre vielleicht nicht gestorben, wenn er mehr High-Intensity-Interval-Training gemacht hätte."
"Pepita wäre vielleicht nicht gestorben, wenn sie ihren Gluten-Intake bisschen zurückgeschraubt hätte."
"Katie wäre vielleicht nicht gestorben, wenn sie einen hochwertigeren Tiefschlaf gehabt hätte."
Leseprobe
"Ich glaube, dass die Comics auch so eine Art Schutzschild sind, denn hier kann ich mich mitunter ziemlich drastisch ausdrücken und harsche Urteile fällen", so Strömquist. "Das geht nur, weil ich mich hinter den Zeichnungen ein wenig verstecken kann. Wenn ich aber mit anderen Menschen zusammen bin (…), fühle ich mich gar nicht wohl, wenn ich den anderen sagen möchte, dass ich eine andere Meinung habe. Dann sage ich eher: 'Oh, das ist ja spannend', oder: 'Ach, Sie haben sicher recht." So bin ich dann privat."
Das Orakel spricht
- Seitenzahl:
- 248 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Schwedischen von Katharina Erben
- Verlag:
- Avant
- Bestellnummer:
- 978-3-96445-115-6
- Preis:
- 25 €