Bernhard Schlinks "Das späte Leben": Wenn der Tod vor der Tür steht
In seiner nüchternen Erzählweise beschreibt Bernhard Schlink, wie sein Held versucht, die letzten Monate, die ihm bleiben, zu gestalten. "Das späte Leben" ist ein stiller, großer und wichtiger Text.
Die Hauptfigur in Bernhard Schlinks neuem Roman heißt Martin, ist 76 Jahre alt und hat einen Sohn, der erst sechs Jahre alt ist, als sein Vater die Diagnose bekommt, dass dieser schwer krank ist und ihm nur noch wenige Monate bleiben. Wie geht man damit um? Gibt es ein Muster dafür? Zunächst hat er Schwierigkeiten damit, überhaupt zu entziffern, was das alles bedeutet.
Der Himmel war blau, die Sonne schien, auf dem Grün in der Mitte der Straße blühten Krokusse. Ja, dachte er, was für ein schöner Morgen. Wie habe ich mich immer über den Frühling gefreut, nach langen Monaten, in denen der Himmel tief und grau über der Stadt lag! Leseprobe
Ein Mann, der sein Leben im Griff hat
Martin, den Helden der Geschichte, darf man sich vorstellen als einen unglaublich beherrschten Mann, der sein Leben im Griff hat: wohlgeordnete Verhältnisse, glücklich verheiratet und keinerlei Neigung zu Gefühlsausbrüchen jedweder Art. Er spricht mit seinem Arzt, der ihn dabei behutsam zu beraten versucht. Dabei geht dieser über sehr dünnes Eis. Er erzählt seinem Patienten von seiner eigenen Frau, die die Trauer um ihren Vater nie wirklich überwinden konnte:
"Ihr Sohn ist jünger, aber darum kommt er nicht besser damit zurecht. Geben Sie ihm die Gelegenheit, sich von Ihnen zu verabschieden. Er kann mit Ihrer Frau an Ihrem Bett sitzen und in den letzten Wochen erleben, wie Sie immer weiter weggehen."
Eigentlich fand er die Bemerkung übergriffig. Aber dann sah er im Gesicht des Arztes die Sorge, er sei zu persönlich geworden, sah die Festigkeit, weil er, was er gesagt hatte, richtig und wichtig fand, sah das Wohlwollen für ihn und für seinen Sohn. "Ich höre, was Sie sagen." Er stand auf. Auch der Arzt stand auf und trat auf ihn zu - wollte er ihn tröstend umarmen? Er wich zurück, verabschiedete sich und ging, ehe der Arzt etwas sagen konnte.
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"Das späte Leben": Ein wichtiger Text von Bernhard Schlink
In seiner immer etwas nüchternen Erzählweise beschreibt Bernhard Schlink, wie sein Held versucht, diese letzten Monate, die ihm bleiben, zu gestalten. Er versucht es mit beeindruckender Würde und Klarheit, selbst dann, als er bemerkt, dass etwa das Leben seiner geliebten, jungen Ehefrau auch ohne ihn weitergehen wird. Und er versucht, seinem Sohn noch so viel vom Vater mitzugeben, wie es eben geht. Sie unternehmen eine kleine Reise und verbringen Zeit miteinander.
Angesichts einer weit verbreiteten Unfähigkeit, den Tod zu akzeptieren und andererseits das Leben nicht so zu leben, als könnte es morgen vorbei sein, sondern währte ewiglich und man könnte es daher mit Kleingeist und überflüssigem Streit verschwenden, ist dies ein stiller, großer und wichtiger Text. Sehr trocken und in der makellosen Vorbildlichkeit des Helden fast eindimensional, aber umso eindrucksvoller!
Das späte Leben
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Diogenes
- Bestellnummer:
- 978-3257072716
- Preis:
- 26 €