von Annemarie Stoltenberg

Die Hafenstadt Triest ist ein nahezu idealer Schauplatz, um die drängendsten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme Europas aufzugreifen. Hier treffen romanische, slawische und germanische Kulturen zusammen - mit allen Konflikten, die sich daraus ergeben. Jede politische Entscheidung ist heute unfassbar unübersichtlich geworden mit dahinterstehenden massiven Profit- und Territorialinteressen. In Veit Heinichens Triest werden kaum noch Entscheidungen wirklich getroffen, sondern verschleppt. Dadurch ergeben sich natürliche Hohlräume für allerhand verbrecherische Aktivitäten.

Commissario Laurenti: Ein liebenswürdiger Genussmensch

Im aktuellen Fall zieht ein alter Bekannter der Justiz alle Fäden im Hintergrund: Raffaele Raccaro, ein Multimilliardär, der immer wieder durchkommt mit Hilfe von hochbezahlten Anwälten, Prozessen in zahllosen Instanzen, Befangenheitsanträgen, Gegengutachten und medizinischen Attesten.

Commissario Proteo Laurenti ist nun keiner der übermenschlich kräftigen Ermittler. Er ist eher ein liebenswürdiger Genussmensch, der sein Bestes gibt, um kleine Teilerfolge gegen das Böse zu erreichen und dabei auch Kompromisse eingeht:

Wäre er in seinem Berufsleben nicht dem Pragmatismus gefolgt, hätte er die meisten seiner Fälle nicht lösen können. Vor allem nicht die komplexen, die typischerweise entlang politischer Grenzen verliefen. Im Gegensatz zu den meisten anderen hatte er nie über den Moment seines Rückzugs nachgedacht. Er fühlte sich weder alt noch ausgebrannt. Seiner Meinung nach diente es dem Sozialwesen auf keine Art, Leute mit Erfahrungen und Willen zur Arbeit in den Ruhestand auszusortieren. Leseprobe

Daher der Untertitel: "Commissario Laurenti hat noch einiges zu tun".

Die Folgen des russischen Angriffskrieges

Mit Charme, ohne erhobenen Zeigefinger, läuft die Frage im Hintergrund des neuen Krimis mit: Wie kann es sein, dass Menschen, die auf dem Höhepunkt ihrer Routine und ihres Könnens sind, nicht selten gegen ihren eigenen Wunsch ins Rentnerdasein verabschiedet werden? Laurenti jedenfalls ist topfit. Beim Tauchen hat er eine Leiche gefunden, und die Suche nach ihrem Mörder führt in eine spezielle Bevölkerungsgruppe:

Die serbische Gemeinde stellte um die zehn Prozent der Einwohner Triests, offiziell registriert war jedoch nur ein Bruchteil von ihnen. Über die Jahrhunderte hatte es mindestens fünf große Einwanderungswellen aus Serbien nach Triest gegeben. Leseprobe

In der serbischen Gemeinde von Triest spielt ein Teil des Krimis, in dem es um die Konflikte in der Stadt geht, die durch die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine auch in die Hafenstadt eindringen und mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben.

Veit Heinichen verlangt viel von seiner Leserschaft

Veit Heinichen ist ein penibel recherchierender Autor, der tiefe Kenntnisse über seine Wahlheimat hat. An einer Stelle bemerkt sein Commissario:

Mach eine gute Stadtführung, dann lernst du deine Stadt auch besser kennen. Ich werde nie verstehen, warum die Einheimischen egal welcher Stadt sich immer einbilden, alles zu wissen, aber im Grunde keine Ahnung davon haben, wo sie leben. Leseprobe

Das gleiche gilt im Zweifel auch für die Einwohner von Braunschweig, Göttingen, Kiel, Schwerin oder anderswo. Heinichen verlangt viel von seiner Leserschaft, wenn die verzwickten politischen Bedingungen dargestellt werden. Es gibt relativ viele Namen von handelnden Personen.

Wer sich allein die vielen auftretenden Polizeibeamten nicht merken kann, dem sei versichert, dass man auch ohne jeden Namen zuordnen zu können, durchkommt und schließlich belohnt wird mit der Lektüre eines intelligent geschriebenen Krimis.

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