"Baumgartner": Paul Austers melancholisches Werk über das Alter
Paul Austers Roman "Baumgartner" steckt voller großer, existenzieller Themen und Empfindungen. Schnell, prägnant und mit absurder Komik zieht Auster einen in die Welt seines Protagonisten.
Paul Auster ist einer der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller - er hat mehr als 30 Bücher geschrieben, die in rund 40 Sprachen übersetzt wurden. Fast alle spielen in New York und in Brooklyn, wo er mit seiner Frau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, lebt. Die hatte im Sommer über Instagram bekannt gegeben, dass Auster an Krebs erkrankt und noch nicht über den Berg sei, aber trotzdem im November einen "kleinen Roman" veröffentlichen werde.
Fulminanter Start für Paul Austers Titelhelden
Mit einer großartigen, temporeichen und geradezu slapstickartigen Szene eröffnet Paul Auster seinen neuen Roman. Sein Titelheld, der über 70-jährige emeritierte Princeton-Professor Sydney T. Baumgartner, arbeitet gerade an einer Monografie über die Pseudonyme des dänischen Philosophen Kierkegaards, als ihn ein Einfall vom Schreibtisch weglockt:
Auf dem Weg nach unten, um das Buch zu holen, entsinnt er sich, dass er seiner Schwester versprochen hat, sie heute früh um zehn anzurufen, und da es gerade kurz vor zehn ist, will er gleich in die Küche gehen und den Anruf erledigen, bevor er das Buch aus dem Wohnzimmer holt. Plötzlich bleibt er abrupt stehen, denn aus der Küche schlägt ihm ein beißender Geruch entgegen. Da brennt was, denkt er. Leseprobe
Baumgartner zieht den glühenden Topf vom Herd und verbrennt sich, aber bevor er die Wunde kühlen und endlich seine Schwester anrufen kann, steht die UPS-Botin Molly vor der Tür. Wenig später klingelt das Telefon und die kleine Tochter seiner Putzfrau erzählt aufgelöst, ihr Vater habe sich bei der Arbeit zwei Finger abgesägt. Schließlich steht ein Mitarbeiter des Stromversorgers vor der Haustür und als Baumgartner den jungen Mann zum Zähler führen will, stürzt er die Kellertreppe herunter.
Paul Auster schreibt über altersbedingten Verfall
Schnell, prägnant und mit absurder Komik zieht Paul Auster einen in die Welt seines Protagonisten, mit dem ihn höchstwahrscheinlich nicht nur das Alter und das Schreiben verbindet. Bald erfährt man, dass Baumgartner seit zehn Jahren Witwer ist: Seine Frau Anna, die Übersetzerin war und mit der er mehr als 30 Jahre glücklich verheiratet war, ist bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Seitdem leidet Baumgartner, trotz oder obwohl er sich hin und wieder belanglosen Affären hingibt, an seelischem Phantomschmerz. Nachdem der Mann seiner Putzfrau Rosita an der Kreissäge zwei Finger verloren hat, beschäftigt ihn das verzwickte "Körper-Geist-Rätsel". Er beschließt darüber zu schreiben und erkennt erst jetzt, wie viel es mit ihm selbst zu tun hat.
Doch dann verliebt sich Baumgartner in eine Filmtheoretikerin, die auch mit seiner Frau befreundet war, und eine Art spätes Glück scheint möglich. Vor allem aber gibt sich der Phänomenologe seinen Wahrnehmungen und Erinnerungen hin oder analysiert mit präziser Erbarmungslosigkeit, wie erbarmungslos der altersbedingte Verfall voranschreitet:
Vor Jahren, in seinen Vierzigern und frühen Fünfzigern, begann ihm aufzufallen, dass viele seiner älteren Freunde und Kollegen gelegentlich mit offener Hose von der Toilette kamen (…). Anfangs hatten ihn diese harmlosen Pannen amüsiert. Dann amüsiert und zugleich traurig gestimmt. Dann traurig gestimmt und gar nicht mehr amüsiert, denn unterdessen hatte er genug davon mitbekommen, um zu begreifen, dass die offenstehende Hose der Anfang vom Ende ist. Leseprobe
"Kleiner Roman" voller Witz und Weisheit
Paul Austers "kleiner Roman", wie seine Frau, die Schriftstellerin Siri Hustvedt diesen Text angekündigt hat, steckt voller großer, existenzieller Themen und Empfindungen. Ein melancholisches Werk über das Alter, könnte man sagen, das keinen Moment lang wie ein rührseliges Alterswerk erscheint. Dazu steckt zu viel Witz und Weisheit in diesem "Baumgartner" und in seinem Erfinder, dem großen Schriftsteller Paul Auster.
Baumgartner
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00393-7
- Preis:
- 22 €