"Angabe der Person": Rauschendes Fest für Elfriede Jelinek-Fans
"Eine Lebensbilanz" - so hat der Rowohlt Verlag Jelineks Text angekündigt. Und tatsächlich: Viel Persönliches taucht hier auf. Es ist ein Wasserfall der Worte, ganz in der Manier von Elfriede Jelinek.
So, bauen wir mal meine Lebenslaufbahn, Hauptsache, ich muss sie nicht selbst noch einmal entlanglaufen, nur langlaufen die letzten paar Meter, ich entziehe mich lieber selbst, bevor ich etwas hinterziehe, das Hinterziehen ist ja zum Volkssport geworden. Leseprobe
Es ist ein Wasserfall der Worte, ganz in Jelinekscher Manier. Eine Erzählerin namens "Elfie" hält einen Monolog. Es geht um Ärger mit dem Finanzamt, die Methoden der Steuerfahndung, um Kapital und Geld, das dazu verführe, zu betrügen:
Die Sonne scheint nicht in Tresore, die Sonne kommt aus den Tresoren und bestrahlt uns, wenn wir sie öffnen, die Büchsen der Pandora. Man wird uns erwischen, und das ist auch schon der ganze Inhalt. Leseprobe
"Angabe der Person": Viel Persönliches von Elfriede Jelinek
"Angabe der Person" - was in sperrigstem Behördendeutsch auf Formularen gefordert wird, ist als Buchtitel doppeldeutig. "Eine Lebensbilanz" - so hat Jelineks Verlag Rowohlt "Angabe der Person" angekündigt. Und tatsächlich: Viel Persönliches taucht hier auf.
Jelinek dramatisiert ein für sie traumatisches Erlebnis. Deutsche Steuerfahnder rückten ihr vor Jahren auf den Leib und beschlagnahmten Notizen, E-Mails, Unterlagen und Festplatte, prüften sogar den Wasserverbrauch der Klospülung. Man glaubte der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin nicht, dass sie ihren ersten Wohnsitz wie angegeben in Wien und nicht in ihrer zweiten Wohnung in München hatte. Die Ermittlungen gegen Jelinek wurden eingestellt.
Sie haben sie beschlagnahmt, meine E-Mails, meine Schriften, also einen Teil davon, ich habe keine Ahnung, welchen, ich nehme an, der private Teil wird sie mehr interessiert haben, obwohl der an Langweiligkeit nicht zu überbieten ist. (...) Wie wollen sie unter 33 Archivkartons die richtigen finden, wo ich meine Geheimpapiere aufbewahre?, geheim deshalb, weil sie gar nicht existieren, das ist dann das Geheimste überhaupt. Leseprobe
Kapitalismuskritik in jeder Zeile
Ausgehend von der persönlichen Betroffenheit arbeitet sie sich an größeren Zusammenhängen ab. Offshore-Briefkästen und Steueroasen, Boris Becker, Wire Card, CumEx-Skandal, Gedanken zu globalen Finanzströmen und Besitzverhältnissen, Kapitalismuskritik in jeder Zeile. Politisch war Jelinek schon immer. Zeitweise hatte sie die Aufführung ihrer Stücke an österreichischen Bühnen verboten, aus Protest gegen die rechtskonservative Regierungskoalition mit Beteiligung von Jörg Haider. In ihren Werken spielen die Verhältnisse die Hauptrolle: "Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Alltagsdinge, auch die Politik, auf ein literarisches Podest zu stellen" - so sagt es Jelinek über sich in dem Kino-Porträt "Die Sprache von der Leine lassen".
Elfriede Jelinek: Gewohnt sarkastisch und selbstironisch
Wie schon in ihrem Internet-Roman "Neid" erinnert sich Jelinek auch jetzt wieder an ihre jüdischen Vorfahren. An den Cousin Walter etwa, der sich rechtzeitig ins Ausland retten konnte, oder Onkel Adalbert, der deportiert wurde und nach Kriegsende Suizid beging. Den Opfern stellt sie Täter gegenüber, ebenfalls reale Figuren, Baldur von Schirach zum Beispiel, NS-Reichsjugendführer, Hitlers Stellvertreter in Wien und Großvater des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach. Während diese nach dem Krieg ihren Besitz, Häuser und Grundstücke wieder zurückbekamen, war der Besitz der jüdischen Verwandten fort. Hier ist Jelinek gewohnt sarkastisch und selbstironisch zu erleben:
Hilfe! Ich hänge hier fest wie in einer Zeitschlinge, die sich um meinen Hals gelegt hat. Das Verfolgtwerden scheint jedenfalls in meiner Familie zu liegen, ich bereue diesen Satz schon, bevor ich ihn niederschreiben kann, wieder einmal hat meine Eitelkeit gesiegt, die Angabe mit meiner Person, am liebsten würde ich mich verstecken. Leseprobe
"Angabe der Person": Abrechnung, Wutschrift oder autofiktionale Bilanz?
Ist dieser Text nun Abrechnung, Wutschrift oder autofiktionale Bilanz? Irgendwie alles zusammen. Für Jelinek-Fans ist "Angabe der Person" in jedem Fall ein rauschendes Fest. Für alle anderen könnte der Rausch erst mal ausbleiben: Der Wortwasserfall tost so dicht, dass es manchmal mühsam ist, den Eingang zum Wesentlichen zu erkennen. Vielleicht ändert sich das, wenn der Text am 16. Dezember in Berlin seine Theaterpremiere feiert - denn da gehört er hin, auf die Bühne.
Angabe der Person
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00318-0
- Preis:
- 24 €