"Schockwellen": Wie Deutschland von russischem Gas abhängig wurde
In ihrem Buch "Schockwellen" analysiert die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert schonungslos die deutsche Abhängigkeit von Russland. Damit hat sie es auf die Longlist des NDR Sachbuchpreises geschafft.
Mit dem Einmarsch Russlands in der gesamten Ukraine drohte auch Deutschlands Energieversorgung zusammenzubrechen. Es wirkte so, als fallen die Verantwortlichen in der Politik und in der Wirtschaft aus allen Wolken. Dabei hätten sie früh erkennen können, dass Russlands Präsident Putin das Gas, das er exportiert, gerne wie eine Waffe einsetzt. Das zeigt die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert in ihrem neuen Buch "Schockwellen".
"Wenn man sich allein die Gaskrisen der letzten Jahrzehnte angeschaut hat, und die liste ich in dem Buch auf, wird sehr deutlich, dass Putin stets Gas als Waffe eingesetzt hat. Das Ganze hat eine 15-jährige Historie", so Kemfert. "Ich persönlich habe auch immer davor gewarnt, aber die Regierung hat das alles in den Wind geschlagen und hat leider diese Erkenntnisse ignoriert."
Zweifelhaft, ob Gas-Embargo Invasion beeinflusst hätte
Kurz nach Beginn des Angriffskrieges hat sich Kemfert für ein Gas-Embargo eingesetzt. Das betont sie auch im Buch. Es ist zweifelhaft, ob ein solcher Schritt Russland wirklich daran gehindert hätte, die Invasion des Nachbarlandes fortzuführen. Der Staatskonzern Gazprom hat dann ohnehin selbst das Gas für Deutschland abgedreht. Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Industrie und Privathaushalte derart auf russische Energie-Lieferungen angewiesen waren? Hier leistet Claudia Kemfert unverzichtbare Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit.
Zwei große deutsche Unternehmen - BASF und Ruhrgas - streiten in den 1990er Jahren über zu teure Gaslieferungen. Da freut sich der dritte: Die BASF umgeht über die Tochterfirma Wintershall den Zwischenhändler und schließt direkte Verträge mit Gazprom ab, steigt dann ins Gasvertriebsgeschäft ein und schafft es nun, Ruhrgas höhere Preise abzupressen. Leseprobe
So beginnt eine Geschichte, in der die russische Gazprom die deutschen Konzerne mal gegeneinander ausspielt und sie dann mit dem Bau der Nord-Stream-Pipelines lockt, ihnen mal eine Beteiligung an einem russischen Gasfeld in Aussicht stellt, dafür dann aber den Einstieg in die deutsche Energie-Infrastruktur fordert. Am Ende hat sich auch die Politik tief verstrickt im großen Gas-Business mit Russland, wie die Autorin fassungslos feststellt.
Vollversorgung durch erneuerbare Energien möglich
Für Kemfert bedeutet das vor allem eines: vertane Zeit auf dem Weg zur Klimaneutralität. "Wenn Sie investieren in fossile Anteile, fehlt das Geld für die Erneuerbaren. Aber auch politisch war es so, dass die Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien und auch für die Energiewende insgesamt massiv verschlechtert wurden", analysiert die Wirtschaftswissenschaftlerin. "Wir sind ja gut gestartet im Jahr 2000 mit einem rasanten Ausbau der Erneuerbaren. Das wurde alles in sich zusammengestampft. Jetzt zahlen wir für die verschleppte Energiewende einen sehr, sehr hohen Preis." Umso mehr, schreibt Kemfert in ihrem Buch, müsse die Devise gelten: "Jetzt erst recht!"
100-Prozent-Vollversorgung durch erneuerbare Energien ist möglich, versorgungssicher, rentabel und Job- und Exportmotor für die deutsche Industrie. Es sind Freiheits- und Friedensenergien. Leseprobe
Gelegentlich vermittelt Claudia Kemfert in "Schockwellen" die Illusion, es gebe in der Wissenschaft immer nur eine Linie und die habe immer recht. Das ändert aber nichts daran, dass Kemfert ein wichtiges Buch geschrieben hat. Es sollte dazu beitragen, dass sich die deutsche Politik nicht noch einmal von zweifelhaften Lieferanten fossiler Energie erpressbar machen lässt. Die Zeichen der Zeit deuten in der Klimakrise ohnehin in eine andere Richtung.
Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden
- Seitenzahl:
- 310 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- Campus
- Veröffentlichungsdatum:
- 08. Februar 2023
- Bestellnummer:
- 978-3-593-51696-7
- Preis:
- 26 €