Sebastian Conrad: "Die Königin"

Stand: 25.09.2024 06:00 Uhr

Sebastian Conrad schildert an einem weltbekannten Beispiel, wie ein dreieinhalb Jahrtausende altes Objekt innerhalb eines Jahrhunderts zur Projektionsfläche für eine Unzahl von Interpretationen wird - Vereinnahmungen inbegriffen.

von Christoph Bungartz

1924 wurde in Berlin die Büste der Nofretete erstmals öffentlich ausgestellt. Ein Buch zum 100. Jahrestag dieses Ereignisses könnte sich auf die Entdeckung in Ägypten, den Transfer ins Deutschland der Kaiserzeit und schließlich auf den Streit um Restitution oder Verbleib konzentrieren. Das wäre informativ, aber wenig originell. Sebastian Conrad erzählt auch diese Geschichte, aber sein Interesse geht weiter.

Woher kommt Nofretetes "globale Strahlkraft"?

Originell ist der Einstieg: Conrad beginnt mit dem Auftritt von Beyoncé 2018 beim Coachella Festival. Die Sängerin kam im Nofretete-Look und machte für ein Millionenpublikum im Netz aus der antiken Königin vom Nil ein Symbol fürs Empowerment farbiger Frauen weltweit. Damit ist die Perspektive des Buchs gesetzt: wer hat wann was aus Nofretete "gemacht"? Woher kommt ihre "globale Strahlkraft"?

Beyoncé stritt sich mit dem Gralshüter der ägyptischen Antikensammlungen Zahi Hawass darüber, wie afrikanisch, also: wie schwarz Nofretete gewesen sei. Hawass bestand darauf, sie sei Ägypterin und keine Afrikanerin gewesen. Eine Interpretation ruft - fast unweigerlich - die nächste Interpretation auf den Plan. Das Publikum im deutschen Kaiserreich sah in Nofretete den zeitlosen Inbegriff weiblicher Schönheit, aber natürlich war der europäisch und hellhäutig.

Historischer Fall als expemplarische Geschichte

Von Greta Garbo bis Barbra Streisand, von Miles Davis bis zur Demo für den arabischen Frühling, von Kalkutta bis Mexiko: Sebastian Conrad trägt eine verblüffende Fülle von Beispielen zusammen, an denen sich immer neue Deutungen der Nofretete festmachten. Schließlich mündet seine Darstellung in die Diskussion um die Zukunft der Büste: wo soll das "Objekt" künftig stehen? Und wird das die Frage nach der Deutungshoheit endgültig beantworten?

Sebastian Conrad hat ein anschauliches, gut lesbares Buch geschrieben. Er macht aus einem historischen Fall eine exemplarische Geschichte und zeigt, wie einfach und komplex Ikonen "funktionieren". Das gilt offensichtlich für die Nofretete - aber das Buch schärft auch unseren Blick dafür, wie global und grundsätzlich das menschliche Bedürfnis zu sein scheint, Bilder für die je eigenen Ideen zu finden.

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