Philipp Peyman Engel: "Deutsche Lebenslügen"
Eine schonungslose Bestandsaufnahme: Wie sicher sind Jüdinnen und Juden in Deutschland? Was hat der 7. Oktober 2023 verändert? Wie glaubwürdig agiert deutsche Politik, vergangenheitspolitisch und im Verhältnis zu Israel? Wie steht es um den rechtsextremen, wie um den migrantischen Antisemitismus?
Relevanter für Gegenwart und Zukunft in Deutschland kann ein Buch nach dem 7. Oktober 2023 und bei der aktuellen Lage kaum sein. Philipp Peyman Engel ist Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeinen", er weiß, wovon er spricht, wenn er über das erneute und teilweise neuartige Aufflammen des Antisemitismus schreibt - ausgerechnet in den Tagen nach dem grausamsten massenmörderischen Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust.
Anders als in seinen kürzeren Texten oder auch in Interviews nimmt er sich im Buch den Raum zur ausführlicheren Argumentation. Und er führt aktuelle Entwicklungen mit seiner persönlichen Familien- und Herkunftsgeschichte zusammen: Als Sohn einer iranischen Mutter, die als junge Frau mit großen Erwartungen vor dem Antisemitismus in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen war, musste er früh persönliche Erfahrungen mit der Ablehnung seines Judentums machen.
Ungeschminkte Analyse
Die Verschränkung von persönlicher Geschichte und Lebenswelt, Einblicken in die eigene journalistische Praxis (Begleitung des Bundespräsidenten), ungeschminkter Analyse eines neuen linken Antisemitismus, historischen Exkursen und ihrer Verbindung mit der Gegenwart (NS-Auslandssender Zeesen, Nazi-Kumpanei von Großmufti Al-Husseini, dessen nachwirkender Antisemitismus), dazu der glasklare Blick auf die rechtsradikale Identitätspolitik - diese Verschränkung macht das Buch eigen in seiner Art und sehr lesenswert. Einige von Peyman Engel aufgerufene Gewährsleute wie der Historiker Matthias Künzel oder der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi sind freilich nicht ganz unumstritten. Das wird im Buch nicht weiter diskutiert.
Der anschauliche, souverän-lebendige Stil kommt ohne unangemessene Flapsigkeit aus, und auch dramaturgisch ist das sehr gekonnt gemacht. Vieles von dem, was Peyman Engel (zusammen mit Co-Autor Helmut Kuhn) analysiert und beschreibt, wird Bestand über den Tag hinaus haben. Anderes (es "droht eine zweite Amtszeit von Donald Trump") wird bald überholt sein. Derlei gilt allerdings für viele hoch aktuelle Sachbücher: Es liegt in der Natur ihrer Dringlichkeit.
Deutsche Lebenslügen
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- dtv
- Veröffentlichungsdatum:
- 07.03.2024
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28414-1
- Preis:
- 18 €