"World Press Photo Yearbook 2024": Aufrüttelnde Bilder des Jahres
Die Welt ist leider nicht nur friedlich und schön; allzu häufig ist sie kriegerisch und hässlich. Der Bildband "World Press Photo Yearbook" zeigt Jahr für Jahr die besten Presse-Aufnahmen aus aller Welt.
Zwei verhüllte Körper, aber kein Gesicht. Kaum ein Fleckchen Haut zeigt das Foto - bis auf diese Hand. Unfassbare, unermessliche Trauer presst die junge Frau in dem knöchellangen blauen Kleid regelrecht zusammen. Sie drückt das in ein weißes Leichentuch eingewickelte kleine Mädchen an sich, umarmt und liebkost den toten Kinderkörper, hält ihren von ockerfarbenem Tuch bedeckten Kopf tief gesenkt und erfühlt mit ihrer bloßen Hand durch den weißen Stoff das Gesicht des Kindes.
Wenn ein Bild zeigt, wie sehr Trauer einen Menschen überwältigen kann, dann dieses. "Weltpressefoto des Jahres" lautet die Auszeichnung für das Bild einer 36-jährigen Palästinenserin, die den Leichnam ihrer fünfjährigen Nichte hält, getötet von einer israelischen Rakete.
Fotos von Menschen in Kriegsgebieten
"Wir haben festgestellt, dass ein eindringliches Foto Engstirnigkeit entgegenwirken kann. Vielleicht erwarten wir zu viel von Bildern - und hoffen doch, dass Betrachter*innen das Allgemeine im Besonderen erkennen", erklärt die Geschäftsführerin der World Press Photo Foundation, Joumana El Zein Khoury. "Ist es unsere Aufgabe, alle Seiten eines Konflikts zu zeigen? Ist es unsere Aufgabe, Antworten zu geben? Beides ist unmöglich. Und doch sind wir stets um Fairness bemüht."
So bekommen zwei weitere Fotos aus diesem Krieg den Ehren-Status "besondere Erwähnung der Jury" verliehen: Eines zeigt einen israelischen Soldaten, der das Gelände des Musikfestivals Supernova nach dem Terrorangriff der Hamas absucht; verloren stapft er über Picknickdecken, Zeltbahnen und herumliegenden Müll. Ein weiteres zeigt eine Palästinenserin, die nach Luftangriffen auf den Gaza-Streifen durch ihr zertrümmertes Wohnviertel stolpert; ganze Wohnblocks sind nicht mehr als in Staubwolken gehüllte Trümmerhaufen. Jedes der Bilder zeigt einen Menschen nach einem Angriff. Opfer sind sie beide.
Leid, Zerstörung, Trauer - aber auch Hoffnung
Es ist der Jury auf sechs Kontinenten besonders schwer gefallen in diesem Jahr, weitere Pressefotos auszuwählen, die nicht von Leid, Zerstörung und Trauer erzählen. Von Klimakatastrophen wie dem ausgetrockneten Seitenarm des Amazonas, durch den ein einsamer Fischer wandert, als ob es die Sahara wäre. Von dem Feuerwehrmann in Kanada, der in der Provinz Quebec auf einem Felsen stehend den rundum abgebrannten Wald inspiziert.
Und doch ist es hier und da gelungen, Hoffnung zu zeigen. In Mexiko haben Menschen im Bundesstaat Michoacán grüne Tannenwälder geschützt, die überlebenswichtig sind für Monarchfalter. Nun flattern abertausende gold-orange Schmetterlinge unter blauem Himmel umher.
In Äthiopien kehrt ein junger Mann, 24, aus dem Bürgerkrieg zurück. Nach zwei Jahren bei den Tigray Defense Forces trifft der schlaksige Bursche mit der Gestalt eines Teenagers erstmals seine Mutter wieder. Er trägt Flecktarnjacke, geht an einer Krücke. Wir können nicht sehen, ob er noch beide Beine hat oder nur eines, können das Gesicht der von Sorge oder Hunger oder beidem ausgemergelten Mutter nicht sehen, die sich an ihn schmiegt. Aber wir sehen, wie er lächelt. Und dieses glückliche Lächeln - wieder daheim, bei Mama - zieht die Betrachter in den Bann.
Das beste Pressefoto des Jahres aus Afrika steht für: Hoffnung.
World Press Photo Yearbook 2024
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hatje Cantz
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-5698-3
- Preis:
- 32 €