Die Schriftstellerin Ulla Hahn © picture alliance/dpa Foto: Ulrich Perrey

Ulla Hahn: Schriftstellerin will Träume beibehalten

Stand: 21.12.2021 09:00 Uhr

Aus einer Arbeiterfamilie zu einer der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen und Autorinnen der Gegenwart: Die Wahl-Hamburgerin Ulla Hahn liebt den Umgang mit der Sprache, ob in ihren Gedichten oder Romanen.

von Jan Ehlert

Die Literatur war für Ulla Hahn schon als Kind das Tor zur Freiheit. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie in einem streng katholischen Milieu im Rheinland, träumte sie sich als Mädchen bereits in die Geschichten der Schriftstellerinnen und Schriftsteller: "Diese Sehnsucht nach Veränderung, nach einer besseren Welt, die war als Kind in mir schon sehr lebendig. Seit ich lesen konnte, habe ich wirklich in zwei Welten gelebt, auch in den Büchern, da hatte ich Freiheit, da hatte ich alles, was ich brauchte."

Auf Umwegen zur Schriftstellerin

Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi mit seiner Ehefrau Ulla Hahn beim Matthiae-Mahl 2018. © picture-alliance
Seit 1996 ist Ulla Hahn mit dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verheiratet.

Doch die Welt der Literatur musste noch ein wenig warten. Nach dem Realschulabschluss machte Hahn zunächst eine Ausbildung zur Bürokauffrau. 1964 holte sie 19-jährig das Abitur nach und ging zum Studium der Germanistik, Soziologie und Geschichte nach Köln. Nach ihrer Promotion 1978 arbeitete Hahn zunächst als Journalistin, unter anderem für Radio Bremen - natürlich im Ressort für Literatur. Seit 1981 veröffentlichte sie regelmäßig Gedichtbände - und schrieb vier Romane. Inzwischen lebt die Schriftstellerin seit vielen Jahren in Hamburg, zusammen mit ihrem Ehemann Klaus dem Dohnanyi, dem ehemaligen Bürgermeister der Hansestadt.

Kleine Leute ganz groß schreiben

Träume, aber auch ganz konkrete Visionen von einer besseren Welt fand Hahn in jungen Jahren in den Büchern sowjetischer Schriftsteller, auch im kommunistischen Manifest. Die sogenannten kleinen Leute groß zu schreiben, das war ihr Wunsch. 1971 trat sie dafür in die Deutsche Kommunistische Partei ein: "Ich habe damals nichts Übles getan, ich habe für einen Sandkasten gekämpft und gegen Mietwucher, ich habe nichts getan, was ich nicht in allen anderen Parteien hätte tun können, nur mit diesem ideologischen Überbau."

Abrechnung mit der DKP

Mit dem ideologischen Überbau konnte Hahn am Ende wenig anfangen. Wer Veränderungen wolle, der dürfe nicht nur den Verstand benutzen, sondern auch das Herz, hielt sie ihren Parteigenossen entgegen. "Herz über Kopf", so hieß auch ihr erster Lyrikband, der 1981 erschien. Das große Lob von Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki brachte Hahn Bekanntheit und Anerkennung. In dem Lyrikband enthalten ist auch Ulla Hahns Abrechnung mit der DKP - in Gedichtform: "Ihr Kampfgenossen all, ihr könnt mich mal." 

Suche in der Vergangenheit

Doch die Frage, wie sie sich von der kommunistischen Idee verführen lassen konnte, ließ Ulla Hahn nicht los. "Überall suche ich die Zeile, die mir sagt, wo ich mich find", heißt es in dem Band in dem Gedicht "Meine Wörter". Also begann sie, sich schreibend zurückzubegeben, ging auf Ursachenforschung in ihrer Vergangenheit. "Weil ich glaube, dass man von einem Menschen nichts versteht, wenn man seine Vergangenheit nicht kennt", meint Hahn. "Wenn ich damals gewusst hätte, dass sich diese Frage nur über einen solchen Zeitraum beantworten lässt, hätte ich sie wahrscheinlich verdrängt. Und das wäre sehr schade gewesen, in allererster Linie für mich."

Hilla-Palm-Saga: Autobiografischer Roman-Zyklus

Ulla Hahn lacht auf einem Podium © imago images / Horst Galuschka Foto: Horst Galuschka
Der Hilla-Palm-Zyklus bildet den Mittelpunkt von Ulla Hahns Prosa.

Aber auch für ihre Leserinnen und Leser. Denn auf der Suche nach der vergangenen Zeit entstanden vier Romane über ihr literarisches Alter Ego, Hilla Palm. Zunächst 2001 "Das verborgene Wort", "Aufbruch", "Spiel der Zeit" und zuletzt, 2017 "Wir werden erwartet". In den autobiografischen Romanen geht es um den Weg eines katholischen Arbeiterkindes, aus dem schließlich eine Dichterin wird. "Der Zyklus ist abgeschlossen", sagt Hahn. Anders als ihre Lyrik fand ihre Prosa bei Marcel Reich-Ranicki keinen Anklang, Hahn nannte seine Kritik gar einen "Vernichtungsversuch".

"Urknallkantate" als Reaktion auf Corona-Pandemie

Auch während der Corona-Pandemie nutzt Ulla Hahn ihre Sprache, um den Menschen Mut zu machen. "Diese Zeit der Angst, Einschränkungen und Verluste wird unser soziales und kulturelles Verhalten nachhaltig verändern", ist sie sich sicher. Als Reaktion darauf schrieb Hahn den Text zur "Urknallkantate", einem Werk, das im Auftrag von Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester entstand. Bereits zuvor hatte die Schriftstellerin ihr exzellentes Gefühl für die Verbindung zwischen Sprache und Musik bewiesen, als sie Texte zu Franz Schuberts "Rosamunde"-Musik verfasst und mit Dirigent Kent Nagano aufgeführt hatte.

Die "Urknallkantate", die Hahn mit dem US-amerikanischen Komponisten Sean Shepherd erschaffen hat, soll eine poetische-musikalische Botschaft des Trostes und der Zuversicht sein. Denn wenn es uns jetzt gelinge, als Einzelner für die Menschheit zu denken und zu handeln, so Hahn, dann könne die Krise uns vorwärts stoßen auf dem Weg der Entwicklung zu einem wahrhaft humanen Menschen. Leider fiel die Uraufführung im April 2021 in der Elbphilharmonie aus - Corona-bedingt.

Bereits ein Jahr zuvor musste Hahns 75. Geburtstag am 30. April 2020 sehr viel kleiner gefeiert werden, als es ohne Pandemie der Fall gewesen wäre. Nicht zuletzt die "Urknallkantate" zeigt: Auch nach einem Dreivierteljahrhundert bleibt die Wahl-Hamburgerin neugierig auf Sprache und die Möglichkeiten, damit zu arbeiten.

Lyrikband "stille trommeln" erscheint 2021

Mitten in der Pandemie hat Ulla Hahn ihre Leserinnen und Leser mit einem weiteren Gedichtband beglückt: "stille trommeln" versammelt neue Gedichte aus den letzten 20 Jahren. Neben ihren vertrauten Themen Liebe, Alter und Vergänglichkeit verarbeitet Hahn neuerdings auch die Naturwissenschaften in ihren Texten.

Traum von einer besseren Welt noch nicht ausgeträumt

Der Traum von einer besseren Welt ist für Ulla Hahn, die während ihres Lebens mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, noch lange nicht ausgeträumt: "Das müssen wir auch beibehalten, unbedingt. Die Träume beibehalten, aber bitte in der Wirklichkeit im kleinen Bereich dafür sorgen, dass wir die Welt nicht schlechter verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Jawohl."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 25.04.2021 | 13:00 Uhr

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