Tanja Maljartschuk: "Westen muss Verantwortung für Ukraine verstehen"
Am 24. Februar steht ein trauriges Jubiläum an: ein Jahr Krieg in der Ukraine. Eine Frau, die diesen Schrecken literarisch verarbeitet, ist die Autorin Tanja Maljartschuk, eine gebürtige Ukrainerin, die inzwischen in Wien lebt.
Frau Maljartschuk, vor einem Jahr hatten Sie ein Interview mit NDR Kultur. Da haben Sie gesagt, dass Sie seit fast 80 Stunden nicht geschlafen hätten. Wie geht es Ihnen aktuell?
Tanja Maljartschuk: Das gleiche kann ich auch über den jetzigen Standpunkt sagen. Seit einem Jahr schlafe ich nicht mehr. Das ist natürlich metaphorisch gemeint, aber es hat sich nichts geändert. Der Krieg geht weiter.
Sie haben durch Ihre Freunde und Verwandten auch einen viel direkteren Einblick als wir. In welche Richtung entwickelt sich der Krieg im Moment? Was meinen Sie?
Maljartschuk: Es geht in die Richtung Ausdauer zu bewahren. Also dieses Gefühl, dass man die Ressourcen sparen muss und versteht, dass dieser Krieg morgen nicht zu Ende geht. Das macht natürlich auch sehr traurig, weil man am Anfang des Krieges noch alle Kräfte zusammenreißen konnte. Alle haben geleistet, was sie können. Aber nach einem Krieg sinken die Kräfte und man versteht, dass man sparsam sein muss - vor allem auch emotional, wenn man nicht direkt an der Front ist, sondern nicht direkt mit dem Krieg verbunden ist. Es geht um Ausdauer und darum, nicht aufzugeben.
Welche Möglichkeiten haben Sie aus der Ferne, Ihr Heimatland in dieser Zeit zu unterstützen ?
Maljartschuk: Diese Frage stelle ich mir die ganze Zeit. Es hat sich so ergeben, dass ich in der Zeit nicht mehr in der Ukraine lebte. Dann fragt man sich, wo man am effizientesten oder am nützlichsten sein könnte. Da sehr wenige deutschsprachige Ukrainer im deutschsprachigen Raum leben, versuche ich hier, die Brücke zu schlagen zwischen zwei Welten, da die Ukraine immer noch extrem unbekannt im deutschsprachigen Raum ist. Meine Aufgabe wäre, etwas zu erklären, falls man fragt und falls man etwas über die Kultur, die Autoren, die Mentalität, die ukrainische Welt wissen will.
Ein Stück weit geht es darum in Ihrem aktuellen Buch "Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus". Das sind mehrere Essays über die Ukraine, die teilweise schon von 2014 sind. Welcher Text ist Ihnen besonders wichtig?
Maljartschuk: Diese Texte sind mir eigentlich alle gleich wichtig und gleichzeitig unwichtig. Ich habe sie regelmäßig seit 2014 geschrieben, als die Euromaidan-Geschichte in der Ukraine begonnen hat und ich wusste, dass ich nicht schweigen kann. Ich habe versucht, auf Deutsch zu schreiben. Das waren meine ersten Versuche. Wenn ich dieses Werden meiner literarischen deutschen Stimme betrachte, sehe ich, dass sich die Wahrnehmung der Ukraine seit 2014 verändert hat. Da war ich noch viel ängstlicher, viel mehr in der Position, mich zu entschuldigen: Entschuldigen Sie, dass dieses Land überhaupt existiert, entschuldigen Sie, dass wir anders sind und dass wir anderes leben wollen.
Natürlich war diese Entschuldigung nach dem Ausbruch des totalen Krieges am 24. Februar nicht mehr passend. Es ist jetzt viel mutiger und natürlich auch ohnmächtiger. Sprachlos war ich sehr oft - und trotzdem habe ich versucht, Unbeschreibliches zu beschreiben. Wie mein Lieblingsautor Thomas Bernhard einmal gesagt hat: "Die Autoren versuchen immer, diese schreckliche Wirklichkeit zu beschreiben und sie schaffen das nie."
Planen Sie weitere Texte über die Ukraine zur eigenen Verarbeitung oder wollen - beziehungsweise müssen - Sie sich ablenken und andere Themen in den Fokus nehmen?
Maljartschuk: Im Moment ist es nicht möglich, sich abzulenken. Manchmal denke ich daran, weil ich nach diesem Jahr total entkräftet bin. Ich habe sehr viele Auftritte und Interviews gehabt und ich habe ein großes Festival mit dem Schwerpunkt Ukraine kuratiert. Irgendwann braucht man natürlich Ruhe. Aber ablenken und andere Themen, literarische Themen, Gedichte, Romane - das ist für mich nicht mehr aktuell. Entweder schreibe ich wieder einen Text zum Thema Ukraine und Krieg, wo ich denke: Vielleicht ist das nützlich, vielleicht bringt es was, bewegt jemanden. Die Ukraine ist extrem abhängig vom Westen. Es ist wichtig, dass der Westen auch seine Verantwortung gegenüber der Ukraine versteht.
Das Interview führte Golo Schmiedt.
Tanja Maljartschuk liest heute um 19 Uhr aus ihrem Buch: "Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus" im Peter-Weiss-Haus, dem Literaturhaus Rostock, Doberaner Straße 21, 18057 Rostock.