Fotograf Robert Doisneau: Ein Blick voller Wärme und Empathie
Robert Doisneau war der wohl berühmteste Fotograf Frankreichs. Der Prachtband "Robert Doisneau, Paris" aus dem Taschen-Verlag zeigt das vielfältige Werk des Fotografen.
Robert Doisneau beschrieb sich selbst als schüchternen Menschen. Keine gute Voraussetzung - sollte man meinen - für jemanden, der sein Geld als Fotograf verdienen möchte: "Es tat mir leid, dass ich den Menschen nicht näher sein konnte, aber ich habe mich nicht getraut, auf sie zuzugehen", sagte er einmal. "Und jetzt sind es gerade die Bilder, die so viel Raum in sich haben, die am meisten berühren." Mit einer Rolleiflex, die der 18-Jährige sich selbst zusammengespart hatte, streifte er durch die Stadt und fotografierte das Leben auf den Straßen.
Doisneaus Blick auf menschliche Emotionen
Eines dieser frühen Fotos machte Doisneau 1932 in einem Kasperle-Theater: Im Zentrum steht ein kleiner Junge, der aufgesprungen ist und sich schlapplacht. Offenbar macht der Tölpel auf der Bühne alles falsch. Ein anderes Kind hat sich auf die Sitzbank gekniet und ruft dem begriffsstutzigen Kasper zu, was er tun soll. Die Perspektive ist typisch für Doisneau: Statt die Kamera auf die Theaterfiguren zu richten, fotografierte er, wie sich das Bühnengeschehen in den Gesichtern der kleinen Zuschauerinnen und Zuschauer spiegelte.
Kinder, die ihre Gefühle offen zur Schau tragen, porträtierte er besonders gern. Aber auch bei Erwachsenen interessierten ihn Emotionen, die sich - oft unfreiwillig komisch - in Körperhaltungen oder Blicken zeigen: Angst oder Missgunst. Stolz, Freude oder Übermut.
Kleine Geschichten und große Geschichte
Was viele überraschen mag: Doisneau, der als Inbegriff des Pariser Fotografen gilt, war mit seiner Kamera vor allem in Gentilly und Montrouge unterwegs, zwei Städten in der Banlieue. Hier wurde er geboren, hier lebten die Menschen, unter denen er aufgewachsen war: Migranten aus Italien, Polen oder der Ukraine. Doisneau fotografierte, wie seine Nachbarn am Fließband in der Renault-Fabrik schufteten oder ihren Sonntag im Schrebergärten genossen. Er drückte auf den Auslöser, wenn Paare sich beim Tanz unter Kastanienbäumen vergnügten und die Mauerblümchen am Rand sehnsüchtig darauf warteten, aufgefordert zu werden.
Auf seinen Bildern hielt er aber nicht nur kleine Geschichten, sondern auch große Geschichte fest: die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs, Paris unter deutscher Okkupation, endlose Schlangen vor ausverkauften Läden. Hautnah erleben wir auf seinen Fotos, wie die Kämpferinnen und Kämpfer der Résistance die Besatzer aus der Hauptstadt jagten. "Man könnte sagen, dass ich zufällig dort war. Geschichte - mit einem großen G geschrieben - würde ich nicht mal erkennen, wenn sie mich umrennen würde", so Doisneau.
Ein Prachtband mit eher unbekannten Bildern
Auf Ikonen wie den "Kuss vor dem Hôtel de Ville" wollte Autor Jean Claude Gautrand nicht verzichten. In seinem Prachtband über Robert Doisneau legt er den Schwerpunkt jedoch auf Bilder, die selten oder noch nie gezeigt wurden. Das Spektrum reicht von Szenen in Cafés und Hinterhöfen bis zur klassischen Reportagefotografie. Auch Mode- und Gesellschaftsaufnahmen oder Porträts von Prominenten sind zu sehen, darunter Pablo Picasso, Alberto Giacometti, Jacques Prévert und Orson Welles.
Ein Buch, das wie Balsam wirkt in Zeiten schnell entflammbarer Wut und Empörung. Egal, ob Doisneau große Künstler oder kleine Leute ablichtete: Immer betrachtete er seine Mitmenschen mit einem Blick voller Wärme und Empathie. Und einem untrüglichen Sinn für Humor.
Robert Doisneau, Paris
- Seitenzahl:
- 440 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Taschen
- Bestellnummer:
- 978-3-8365-9948-1
- Preis:
- 50 €