Paul Austers "4 3 2 1": Das Spiel mit dem Schicksal
Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster ist nicht nur New Yorker und Nachfahre jüdischer Immigranten, sondern auch entschiedener Trump-Gegner. Gerade erst hat er angekündigt, für den Vorsitz des Autorenverbands PEN kandidieren zu wollen, um seiner Stimme mehr Gewicht zu verleihen. Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag am 3. Februar erscheint Paul Austers Opus Magnum "4 3 2 1", ein fast 1.300 Seiten umfassendes Werk, das die Lebensgeschichte eines jungen Amerikaners in den 60er-Jahren erzählt. In vier verschieden Varianten - je nach Spiel des Schicksals.
Variationen eines Lebens
Eine Geschichte, wie sie typischer für das Einwanderungsland USA nicht sein könnte. Ein Russe verlässt seine Heimatstadt Minsk und landet nach rauer Atlantik-Überfahrt am 1. Januar 1900 auf Ellis Island, im Hafen von New York:
"Als der 19-jährige Reznikoff endlich bei dem Einwanderungsbeamten an die Reihe kam, hatte er den Namen, zu dem der Mann ihm geraten hatte, längst wieder vergessen. Ihr Name?, fragte der Beamte. Der müde Einwanderer schlug sich verzweifelt gegen die Stirn und platzte auf Jiddisch heraus: "Ich hob fargessen!" Und so begann Isaac Reznikoff sein neues Leben in Amerika als Ichabod Ferguson." Leseprobe
47 Jahre später kommt Ichabod Fergusons Enkel - Archie - in Newark, New Jersey zur Welt. Von ihm handelt dieses Buch. Doch Paul Auster - selbst 1947 in Newark geboren - erzählt nicht nur eine Biografie, sondern erfindet vier verschiedene Lebenswege: Archie Nr. 1 verliert seinen Vater, Archie Nr. 2 hat einen Autounfall, bei dem er zwei Finger einbüßt. Archie Nr. 3 entwickelt homosexuelle Neigungen und Archie Nr. 4 wird vom Blitz getroffen und stirbt.
Roman mit autobiografischen Parallelen
Jeder Archie Ferguson erlebt die Wirren der 60er-Jahre anders - die Ermordung JFKs, die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Rassenunruhen. Aber alle sind verliebt in das gleiche Mädchen, besessen von Baseball und Basketball und fasziniert von Literatur. Die autobiografischen Parallelen sind unübersehbar.
Auch Paul Auster hat als 15-Jähriger Dostojewskis "Schuld und Sühne" verschlungen: "Das traf mich wie Blitz und Donner - direkt aus dem Himmel. Dieses Buch hat mich geknackt. Eine intensive Erfahrung. Da habe ich mir selbst gesagt: Wenn ein Roman so eine Wirkung haben kann, dann will ich Romane schreiben", erinnert sich Auster.
Genau dieselbe Erfahrung macht einer der Archies im Buch:
"... Dostojewski hatte ihm vermittelt, dass erfundene Geschichten viel mehr als Vergnügen und Zerstreuung sein konnten, sie konnten einem das Innerste nach außen kehren und die Schädeldecke sprengen, sie konnten einen verbrennen oder gefrieren lassen, nackt ausziehen und in die stürmischen Winde des Weltalls hinausstoßen ..." Leseprobe
Eine Herausforderung für den Leser
Beinahe 1.300 Seiten mit Sätzen, die zum Teil über 25 Zeilen lang sind - für den Leser eine Herausforderung. "Diese Art von Sätzen spiegeln - hoffe ich - den Gedankenprozess wieder. Nicht das, was wir 'Bewusstseinsstrom' nennen, sondern etwas anderes, aber irgendwie auch ähnlich. Beim Schreiben - oder überhaupt in der Kunst - macht man das, was sich richtig anfühlt", so erklärt der Autor seine langen Sätze.
"4 3 2 1" ist ein Spiel mit dem Zufall: Was wäre gewesen, wenn Archies Eltern sich nicht getrennt hätten, sein bester Freund im Jugendcamp nicht gestorben wäre? Wäre er weniger verletzlich oder weniger kämpferisch geworden? So oder so, der sympathische Held wächst einem ans Herz - auch wenn man oft nicht mehr weiß, in welchem der vier Lebensentwürfe man sich gerade befindet.
Paul Auster hat dieses Opus Magnum von Hand aufgeschrieben. Ein Nachsinnen darüber, wie sein Leben auch hätte verlaufen können: "Das Buch meines Lebens. Auf dieses Buch habe ich all die Jahre hingearbeitet. Jetzt habe ich's getan. Aber ich weiß nicht, was ich davon halte. Ich bin nur froh, dass ich es getan habe."
4 3 2 1
- Seitenzahl:
- 1264 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00097-4
- Preis:
- 29,95 €