"Moin und Salam": Neuer Bildband über muslimisches Leben in Deutschland
Das Projekt "Moin und Salam" lenkt den Blick bewusst auf positive Geschichten von Musliminnen und Muslimen in Deutschland. Nun ist dazu ein zweisprachiger Bildband erschienen.
Wer an Islam und Musliminnen und Muslime denkt, hat immer noch sehr schnell gängige Bilder im Kopf: Männer mit Bart beim Beten, Minarette, Frauen mit Burka oder Tschador. Diese Bilder suggerieren Fremdheit, Andersartigkeit und festigen Vorurteile, die in den allermeisten Fällen nicht stimmen. Der Fotograf Julius Matuschik beschäftigt sich seit vielen Jahren mit gängigen Bildwelten, hinterfragt sie - und sucht nach Alltagsszenen und Authentizität. Gemeinsam mit der Religionswissenschaftlerin und Politologin Raida Chbib hat er vor einigen Jahren ein multimediales Projekt angestoßen mit dem Ziel, muslimisches Leben in Deutschland abseits gängiger Stereotype zu zeigen.
Alltagsszenen mit spannenden Menschen
Vier Frauen mit bunten Kopftüchern halten sich vor Lachen die Bäuche. Ein anderes Bild zeigt junge Männer bei einer Chorprobe: Konzentriert stehen sie vor einer Wand mit arabischen Schriftzeichen. Und da: Eine muslimische Medizinstudentin flitzt auf ihrem Longboard vorbei.
Alltagsszenen - unaufgeregt und fröhlich. Julius Matuschik hat diese Motive, fernab gängiger Stereotype, ganz leicht gefunden, denn: Muslimisches Leben finde hier überall statt - wir müssen nur hinsehen, sagt der Hannoveraner: "Ich habe unglaublich spannende Menschen kennengelernt, die durch ihr Tun und durch ihre Identität sehr bei sich selbst sind, was mich sehr beeindruckt hat. Und ich habe verstanden, was es bedeutet, Spiritualität in seinem Alltag zu leben. Das fand ich sehr beeindruckend für mich persönlich und sehr bereichernd."
Wie wurde der Islam früher dargestellt?
In deutschen Zeitungen und auf Internetseiten werden allerdings nach wie vor oft Bilder gezeigt, die ein Gefühl von Andersartigkeit hervorrufen: Frauen mit Kopftuch von hinten zum Beispiel. Das war nicht immer so. Um 1934: Kinder mit langen Zöpfen und Lackschuhen sitzen im Freien auf Stühlen und lernen arabische Schriftzeichen. Oder 1964: Vier muslimische Arbeitsmigranten, glattrasiert, in Hemd und mit Krawatte, knien auf einem Teppich in einem improvisierten Gebetswaggon.
Diese Fotos schlummerten bislang in Archiven. Julius Matuschik hat sie gesucht und gefunden; angetrieben von der Frage: Wie wurde der Islam früher, vor 40, 60, 80 Jahren dargestellt? Verwundert stellte er fest, "dass es auch Bilder aus damaligen Medien gibt, die viel ausgewogener, mit einem neugierigen Blick, den Islam gezeigt haben. Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn wir diese Bilder in eine Zeitachse setzen und schauen, was dazwischen dazwischen passiert ist."
9/11 als Zäsur in Dokumentationen über muslimisches Leben
Eine Förderung der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichte es Julius Matuschik, sich intensiv mit seinen Fragen auseinanderzusetzen. Mehrere Kapitel im Bildband zeigen denn auch, wie sich muslimisches Leben in Deutschland entwickelt hat: Sie dokumentieren die erste Moschee von 1915, die muslimische Gastarbeiter*innen-Bewegung. Auch Zäsuren werden beleuchtet, allen voran 9/11. Nach den terroristischen Anschlägen von 2001 veränderten sich die gezeigten Fotografien von Menschen im islamischen Kontext; sie wurden negativ aufgeladen, heißt es im Buch. Die Texte stammen von der Religionswissenschaftlerin Raida Chbib von der Universität Frankfurt: "Uns ist es wichtig, ein nachhaltiges, ein umfassendes Angebot an Bild und Text zu unterbreiten, das gut lesbar ist, das aber auch fundiert ist. Was aber nicht eingeklemmt ist in tagespolitischen Ereignissen, leider häufig mit einer negativen Berichterstattung verbunden. Wenn dem radikalen Spektrum gerade mal 0,5 Prozent der Muslime und Musliminnen in Deutschland zugerechnet werden, darf demgegenüber der Großteil der muslimischen Bevölkerung nicht untergehen."
Und so hat Julius Matuschik für den Bildband rund 100 neue Fotos geschossen - bunt, poetisch, überraschend. "Es sind Fotografien, an die ich selbst nicht gedacht hätte im Zusammenhang mit dem Thema Muslime und Musliminnen", gibt Raida Chbib zu. "Wie etwa dieses Foto von Firouz Vladi aus Niedersachsen, der im Wald steht und Exkursionen durch die Gipskarstlandschaft unternimmt. Oder das von der muslimischen Stadt-Imkerin, oder das von den beiden jungen Männern, die bei der Freiwilligen Feuerwehr mit ihrer Ausrüstung zu sehen sind. Was Julius aus seiner fotografischen Linse an muslimischem Leben eingefangen hat, ist für mich faszinierend oder besser gesagt: faszinierend normal."
Positive Geschichten von Muslim*innen
Das Projekt "Moin und Salam" lenkt den Blick bewusst auf positive Geschichten von Musliminnen und Muslimen in Deutschland, die, so Julius Matuschik, viel zu wenig erzählt werden. Extremistische Strömungen oder kritische Stimmen zu Dachverbänden werden zwar erwähnt, aber nicht erläutert. Es geht um diesen frischen Zugang zu dem Thema. Die Hoffnung? Zukünftig mehr selbstbewusste muslimische Frauen zeigen, verschmitzt dreinblickende Gläubige und tanzende Kinder auf bunten, kunstvollen Teppichen.
Moin und Salam. Muslimisches Leben in Deutschland
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Kerber
- Bestellnummer:
- 978-3-7356-0952-6
- Preis:
- 42 €