Maria Haas: "Matriarchinnen" (Cover) © Kerber Verlag Foto: Maria Haas

Maria Haas: "Matriarchinnen"

Stand: 05.03.2021 15:00 Uhr

Schon lange interessiert sich die österreichische Fotografin Maria Haas für besondere Gesellschaftsformen, unter anderem auch für solche, die matriarchal organisiert sind.

von Katja Weise

Bei ihren Recherchen stellte sie fest, dass es nur noch sehr wenige gibt, in denen Frauen das Sagen haben. Um das Leben dieser Völker zu porträtieren, reiste sie nach China, Indien und Indonesien. Nun liegt ihr Fotobuch "Matriarchinnen" vor.

Bei den Mosuo in China haben Frauen das Sagen

Gesichter wie Landschaften - das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Viele Jahrzehnte liegen hinter den Ah-Mis, die als älteste Frauen jeweils an der Spitze ihrer Clans stehen. So ist es üblich bei den Mosuo, seit Jahrhunderten lebt das Volk im Südwesten Chinas matriarchal organisiert. Der Blick der Ah-mi strahlt eine solche Würde und Gelassenheit aus, dass automatisch Vertrauen entsteht. 

Die Ah-mi nimmt den Ehrenplatz neben dem Feuer ein und was sie sagt, zählt. Sie hält die Fäden in der Hand und leitet die Familie. Leseprobe

Ehepaare leben nicht zusammen

Maria Haas zeigt auch die abgearbeiteten Hände mit den schwarz geränderten, rissigen Nägeln, die so lange es geht kräftig zupacken. Auch die harte Feldarbeit ist bei den Mosuo Frauensache, die Männer tragen kaum Verantwortung. Sie bleiben ihr Leben lang im Haus der Mutter wohnen, wenn sie heiraten, besuchen sie ihre Frauen nur für die Nacht. Ein junger Mann hat Maria Haas erzählt:

Ungefähr drei bis viermal in der Woche sehe ich meine Kinder. Die restliche Zeit verbringe ich bei meiner Familie. Im Moment kümmere ich mich oft um unser Baby, da seine Mutter mit ihren Schwestern auf dem Feld arbeiten muss. Leseprobe

Er trägt eine gelbe Daunenjacke und Jeans, das Kind auf seinem Schoß eine Baseballkappe. Baseballkappen, Jeans und Daunenwesten tragen auch die jungen Frauen, die Maria Haas bei der Feldarbeit fotografiert hat. Sie zeigt nicht nur die Matriarchinnen, sondern außerdem das Umfeld: die teils prächtig verzierten Holzhäuser, Berge von Maiskolben im Hof, die Feuerstelle, auf der später Spiegeleier gebraten werden, das Motorrad in der Toreinfahrt.

Farbenfrohe Welt in Indien

Ungeheuer farbenfroh ist diese Welt. Das gilt auch für die der Völker in Indien, bei den Khasi, Garo und Jaintia sorgen ebenfalls die Frauen für die Familie. Hier allerdings übernimmt die jüngste Tochter, die Khaddu, die Verantwortung, da sie am längsten leben wird. Ihr Mann darf zu ihr ziehen, doch die Kinder werden im Kollektiv erzogen.

Trisha ist noch ein kleines Mädchen, vielleicht sechs, in den Haaren klemmt ein rosafarbener Plastikreif, das weiße, knielange Kleid mit dem Tüllrock erinnert entfernt an ein Hochzeitskleid. Die Khaddu werden früh vorbereitet. Banitrisha, eine fröhliche junge Frau im Superman-Sweatshirt trägt einen Strohballen auf dem Rücken. Sie sagt:

Ich bin froh, die jüngste Tochter zu sein, und ich bin stolz, alles zu erben. Aber für alles die Verantwortung zu übernehmen und die meisten Arbeiten zu verrichten ist sehr anstrengend und oft viel zu viel. Leseeprobe

Frauen tragen die Verantwortung

Die Männer helfen bei der Arbeit, aber die Frau verwaltet allein Geld und Güter. Das sei Tradition, erklärt Balajied, er fühle sich nicht unterdrückt. Den Mann mit den vielen Lücken im Gebiss hat Maria Haas vor einem Süßigkeitenstand aufgenommen, seinem eigenen?

Letzte Station der Bilder-Reise ist - zumindest im Buch - das Hochland Westsumatras in Indonesien. Hier leben die Minangkabau, nach muslimischem Recht und mit matriachalen Strukturen, nach dem Adat, dem Gewohnheitsrecht. Das Nebeneinander erklären sie so:

Der Islam stieg von den Küsten auf, während Adat von den Bergen hinabstieg. Leseprobe

Mittendrin leuchtende Farben: Türkis, kornblumenblau oder pink ist der Hidschab der Frauen, oft tragen sie dazu lange Blumengewänder. Aber Maria Haas hat auch eine junge Frau in Jogginghose und T-Shirt aufgenommen, an den Füßen Flip-Flops aus Plastik.

Beeindruckende Frauen jeden Alters

Was dieses Buch auszeichnet: Wir sehen beeindruckende Frauen, Greisinnen, deren Gesichter vom Leben erzählen, junge Frauen, Mädchen und Männer, Jungen, Häuser, Felder, geflochtene Brücken im Wald.

Maria Haas bildet die Menschen und ihre Lebenswelt ab, alles fügt sich schön zusammen. "Matriarchinnen" ermöglicht so eine eindrückliche Reise im Kopf, garniert mit wenig, aber informativem Text. Welten gehen auf, die in ihrer Farbigkeit und Harmonie beeindrucken. Das ist auch der Wunsch der Fotografin.

Die Frage, welche Perspektive diese Lebensform hat, diskutiert Maria Haas nicht. Nur zweimal klingt an, dass die junge Generation sich durchaus ein anderes Leben vorstellen kann. Ein Mädchen, eine Khaddu, möchte gerne Ärztin werden, fürchtet aber, dass dieser Wunsch nicht vereinbar sein wird mit ihren Aufgaben im Clan.

Matriarchinnen

von Maria Haas
Seitenzahl:
164 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Texte von Maria Haas, Brigitte Krizsanits und Christina Schlatter - 116 farbige und 1 s/w Abbildungen, Hardcover, 23 x 30 cm
Verlag:
Kerber
Bestellnummer:
978-3-7356-0704-1
Preis:
45,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 07.03.2021 | 17:40 Uhr

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