Welttag der Poesie: Lyrik-Empfehlungen für Kinder
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung veröffentlicht zum Welttag der Poesie (21. März) jedes Jahr Gedicht-Empfehlungen. Dieses Mal auch für Kinder. Ein Gespräch mit Jurymitglied Ines Galling.
Seit mehr als zehn Jahren finden sich auf der Seite lyrik-empfehlungen.de Jahr für Jahr am Welttag der Poesie zehn aktuelle Gedichtbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Außerdem zehn aus anderen Sprachen übersetze Lyrikbände. Empfohlen von einer Jury, die alljährlich das Beste aus einer Vielzahl von Neuerscheinungen auswählt. Auch in diesem Jahr gibt es neue Lesetipps für Gedicht-Hungrige. Aber etwas ist anders: Neu hinzugekommen sind nämlich Lyrik-Empfehlungen für Kinder.
Frau Galling, warum gibt es neuerdings Lyrik-Empfehlungen für Kinder? Ist der Bücherdschungel zu dicht, so dass es Wegweiser braucht?
Ines Galling: Es braucht vielleicht keine Wegweiser, aber Hinweise. Wir möchten mit den Lyrik-Empfehlungen für Kinder die Sichtbarkeit von Kinderlyrik stärken. Allen, die in diesem kinderliterarischen und kinderlyrischen Kosmos beheimatet sind, beispielsweise Urheberinnen, Verlage und natürlich die kleinen und großen Leser, denen sollen diese Lyrik-Empfehlung zugute kommen, Lust machen auf Lyrik. Dafür gibt es eben diese Empfehlungen, die flankiert werden von einem reichhaltigen Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm.
Was unterscheidet denn Kinderlyrik von Lyrik für Erwachsene?
Galling: Im Kern sind die gar nicht so unterschiedlich. Beides sind natürlich Gedichte, die in knapper Form gebundene Sprache aufweisen. Die Kinderlyrik hat natürlich eine Vorliebe für gewisse Themen: Tiere sind zum Beispiel immer sehr populär. Es gibt wahrscheinlich eine geringere Formenvielfalt. Ich habe überlegt, ob es so etwas gibt wie ein Sonettenkranz in der Kinderlyrik - ich glaube nicht. Aber im Grundsatz sind die sich dann doch sehr ähnlich. Die Kinderlyrik wirkt oft sehr unmittelbar. Sie ist oft sehr komisch, witzig, spielt mit Sprache. Was man auch noch sagen kann: Kinderlyrik ist fast immer illustriert. Das ist ja bei der Erwachsenen-Lyrik eher nicht so. Durch diese Illustrationen wird noch mal eine ganz andere Ebene eingezogen.
In modernerer Lyrik für Erwachsene ist der Endreim nun wahrlich nicht üblich, kann vorkommen, muss aber nicht. Heißt Lyrik für Kinder immer, dass sich die Verse am Ende reimen?
Galling: Nicht zwangsläufig. Man findet das schon sehr oft. Ich glaube, auch gerade weil man natürlich dadurch diese gebundene Sprache noch stärker explizit zeigt, ausdrückt und hörbar macht vor allen Dingen. Und Kinder ja auch wirklich gerne reimen. Aber es ist nicht so, dass sich ein Kindergedicht immer reimen muss, da ist man auch freier geworden.
Nun sind nicht bloß zehn, sondern sogar elf Titel auf dieser Internet-Empfehlungsliste zusammengekommen. Sie gehören selbst zur Jury, die die Titel ausgewählt hat. Könnten Sie mal Beispiele nennen, welche Kinderlyrik-Titel in ihren Augen so richtig gut gelungen sind und warum?
Galling: Zunächst kann ich sagen, dass wirklich alle Bücher ein großes Vertrauen in Sprache und eine große Freude an Sprache ausdrücken. Das ist wirklich eine große Freude, das zu sehen. Arne Rautenberg ist dabei, Nils Mohl, Lena Raubaum. Aber wir verorten uns auch in literarischen Traditionen. Wir haben zum Beispiel mit Finn-Ole Heinrich jemanden, der Einschlaf-Lyrik neu und sehr originell, fast anarchisch schreibt, das ist sehr schön. Mit Josef Guggenmos ist einer der ganz großen Kinderlyriker auf der Liste. Das war jemand, der wirklich ganz, ganz tolle Naturgedichte geschrieben hat, der sehr viel draußen unterwegs war und seine Erlebnisse in Gedichte transformiert hat. Das sind Texte, in denen wirklich in wenigen Versen ganz große Räume aufgemacht werden. Das sind Gedichte, die mich sehr faszinieren. Sie werden in dem Buch "Es flüstert und rauscht" von zwölf verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern illustriert. Was natürlich nochmal eine ganz neue Ebene aufmacht, weil man ganz unterschiedliche Bildsprachen sehen kann.
Können Sie sich vorstellen, dass manche erwachsenen Leser mit der Lyrik für die Kleinen auch mehr anfangen können? Und sich dann erst später anschauen, wie es in diesem Jahr mit den etablierten Lyrik-Empfehlungen aussieht?
Galling: Das kann ich mir auf jeden Fall vorstellen. Ich habe ja schon gesagt, dass ich nicht so große Unterschiede machen würde zwischen Lyrik für Kinder und Lyrik für Erwachsene. Es gibt hier eigentlich nur ein "mehr ist mehr" und keinen Gegensatz. Die Kindergedichte wirken oft sehr appellativ, und die passen wirklich für alle zwischen neun und 99 Jahren. Und auch für jüngere Kinder, aber nach oben gibt es keine Altersgrenze.
Das Interview führte Eva Schramm