Jens Wawrczeck: "Man kann Hitchcock-Filme immer wieder sehen"
Der Hamburger Sprecher Jens Wawrczeck las im Winter auf Kinoreise in Norddeutschland aus seinem Buch "How to Hitchcock" und erzählt im Studio von seiner Leidenschaft für die Filme des britischen Genies Alfred Hitchcock, der heute vor 125 Jahren geboren ist.
Der Schauspieler hat im Winter seine Tour mit seinem Buch "How to Hitchcock - Meine Reise durch das Hitchcock-Universum" in Hamburg gestartet und war mehrfach in Norddeutschland. So konnte man ihn in Lüneburg, Boizenburg, Hamburg, Lübeck und Bremen erleben. Bei den Terminen las er zunächst aus dem Buch - danach gab es in jedem der veranstaltenden Kinos einen Hitchock-Film wie "Rebecca", "Psycho" oder "Das Fenster zum Hof".
Jens, wie oft hast du die Duschszene aus "Psycho" schon gesehen?
Jens Wawrczeck: Unzählige Male. Ich habe sie vor allen Dingen nicht nur live gesehen, also als Film, sondern ich hatte auch ein Buch über "Psycho", indem du jeden einzelnen Frame, den Hitchcock gedreht hat, anschauen konntest. Das heißt, ich kenne diese Szene wirklich in- und auswendig.
Im Buch erzählst du, wie du die Szene zum ersten Mal gesehen hast. Wie war das?
Wawrczeck: Ja, das war hier in Hamburg im Abaton Kino. Ich habe ihn zum ersten Mal gesehen in einer Zeit, als man es offensichtlich noch nicht ganz so ernst nahm mit dem Jugendschutzgesetz. Ich war vielleicht 14. Das Abaton zeigte diesen Film nachmittags im kleinen Kino und ich wurde einfach so durchgewunken. Ich kannte den Film nicht, aber ich kannte Fotos aus dem Film und auch die Handlung, weil ich darüber gelesen hatte.
Trotzdem war es so, dass das Kino einen gemeinsamen Schrei ausstieß, als Marion Crane von Norman Bates, Janet Leigh von Anthony Perkins, erstochen wurde. Das war ein solcher Schockmoment - in Kombination mit diesen schrillen, schreienden Geigen, mit den Streichern von Bernard Herrmann, dass man unmittelbar reagiert hat - und ich auch.
Hitchcock ist mehr als "Psycho", mehr als "Fenster zum Hof" und mehr als "Die Vögel": Er ist ein Lebensthema für dich. Warum? Was ist das Besondere?
Wawrczeck: Man kann Hitchcock-Filme immer wieder sehen und entdeckt immer wieder neue Dinge. Da gibt es immer wieder Ebenen, die man beim vorherigen Sehen übersehen hat. Ich hatte eine kleine Mission: Ich hoffe, dass diejenigen, die die Filme schon gesehen haben, noch neugieriger werden und unbedingt bestimmte Szenen noch einmal sehen wollen, weil sie irgendetwas beim ersten Mal versäumt haben.
Und ich hoffe, dass die Menschen, die Hitchcock noch nicht für sich entdeckt haben, neugierig auf dieses unglaubliche Werk werden. Was ich wichtig finde, ist, dass man immer einen zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten Blick riskiert, weil es wahnsinnig viel zu entdecken gibt.
Hast du was Neues entdeckt oder hast du dieses Buch aus dem Ärmel geschüttelt?
Wawrczeck: Ich hatte bestimmte Themen im Köcher. Ich wollte immer schon einmal über Hitchcock und die Mütter schreiben oder über den Blick, den Hitchcock auf Zweisamkeit oder auf Ehen wirft, der nicht besonders optimistisch ist. Das fand ich sehr interessant. Ich habe mir, als ich das Buch geschrieben habe, noch einmal alle Filme angesehen. Ein paar sogar zum ersten Mal - ein paar Stummfilme - da war ich absolut begeistert.
Das Tolle ist: Je älter man wird, desto mehr entdeckt man. Weil man mit anderen Erfahrungen einen Film sieht. Es ist egal, ob es ein Film, ein gutes Buch, eine gute Malerei oder eine gute Musik ist: Die Dinge wachsen mit uns. Insofern gab es immer Sachen, die ich neu entdeckt habe.
Manche Filme altern wahnsinnig schlecht. Bei Hitchcock ist es nicht so?
Wawrczeck: Ich finde, bei Hitchcock altern die Filme nicht, sie reifen. Sie werden für mich persönlich besser, je öfter ich sie sehe.
Die Väter tauchen bei Hitchcock oft nicht auf und die Mütter sind oft Monster, die Bösen. Was sagt das über Hitchcock?
Wawrczeck: Das frage ich mich auch. Ich bin mehr interessiert an seinen Filmen als an seiner Person. Er ist sehr viktorianisch aufgewachsen, er war ein sehr schüchterner Junge. Er hatte zu seiner Mutter ein, so weit ich weiß, recht positives Verhältnis. Mütter üben auf uns zwangsläufig einen unglaublichen Einfluss aus. Ich denke, das ist ein Leckerbissen für jeden Regisseur, für jeden kreativen Menschen, das zu benutzen.
Es sind nicht alle Mütter Monster bei ihm. Es gibt in meiner Aufzählung zwei, die genau das Gegenteil sind: Shirley MacLaine, eine sehr moderne, unabhängige Frau in "Immer Ärger mit Harry", die ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem kleinen Sohn hat, und Doris Day in "Der Mann, der zuviel wusste" rettet ihren Sohn, weil sie intuitiv mit ihm verbunden ist. Natürlich sind die besonders amüsanten und die besonders packenden Mütter diejenigen, die nicht so nett sind.
Was dürfen wir als Geheimtipp nicht verpassen?
Wawrczeck: Ein absolut wunderbarer Film ist "Im Schatten des Zweifels", "Shadow of a Doubt". Der wird nicht sehr häufig gezeigt. Da zieht ein auf den ersten Blick sehr geschmeidiger, sehr eleganter, sehr weltoffener Onkel in eine Kleinstadt, um seine Familie zu besuchen. Die Nichte muss innerhalb dieses Filmes entdecken, dass ihr Onkel ein gesuchter Witwenmörder ist. Das ist ein großartiger Film, weil er mit diesem Idyll der kleinen Stadt spielt, die plötzlich überhaupt nicht mehr so heimelig wirkt, nachdem die Handlung ein paar Minuten vorangetrieben ist. Die Familie, in der das ganze spielt, bröckelt auch, weil ihre Glaubenssätze durcheinandergewirbelt werden. Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme.
Du bist nicht nur theoretisch interessiert: Du bist mit den "Drei ???..." selbst Teil des Hitchcock-Kosmos.
Wawrczeck: Ich bin als Peter Shaw in "Die drei Fragezeichen" Hitchcock in den Hörspielen begegnet. Das war eher ein PR-Deal von Hitchcock. Ich bin da nicht so ganz firm. Hitchcock hat Robert Arthur, dem Originalautoren der "Drei Fragezeichen", seinen Namen zur Verfügung gestellt. Vielleicht waren sie befreundet - er hat es sich sicher aber auch gut bezahlen lassen.
Die ersten Folgen waren unter dem Titel "Alfred Hitchcock - Die drei Fragezeichen" im Handel. Das war ein bisschen schicksalhaft für mich. Ich war schon vorher ein Hitchcock-Fan, aber als ich dann in dieser Serie landete, dieses Prädikat über dem Ganzen schwebte und man sich in den Hörspielen plötzlich in den Universal Studios bewegte, in dem Office von Alfred Hitchcock - das war natürlich toll.
Das Gespräch führte Daniel Kaiser.