Jane Austen: "Stolz und Vorurteil"
In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Jane Austens "Stolz und Vorurteil".
Von Hanjo Kesting
Der erste Satz von Jane Austens Roman "Stolz und Vorurteil", eine in England zitierfähige Sentenz, lautet: "Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens sich nichts mehr wünschen muss als eine Frau." Wir wissen nicht, ob dieser Satz - einer der berühmtesten Romananfänge überhaupt - die Keimzelle des Buches war oder eine spätere Hinzufügung, doch schlägt er mit humoristischer Direktheit das Grundthema des Buches an: Partnerwahl und Heirat.
Allerdings handelt das Buch weniger von vermögenden Junggesellen auf der Suche nach einer Frau, als von unverheirateten Töchtern aus guter Familie, die dringend einen Junggesellen brauchen, am besten einen mit großem Vermögen. Mr. und Mrs. Bennet aus dem Dorf Longbourn nördlich von London haben gleich fünf unverheiratete Töchter, und wie sie unter die Haube zu bringen sind, ist die ständige Sorge der Mutter. "Ihre Lebensbeschäftigung", heißt es, "war die Verheiratung ihrer Töchter." Das klingt vielleicht lächerlich, aber Mrs. Bennet hat gute Gründe für ihr Verhalten, denn das Vermögen der Familie kann nur in männlicher Linie vererbt werden, so dass Witwe und Töchter leer ausgehen.
Mr. Darcy und Elizabeth: Liebe zwischen Stolz und Vorurteil
Die Familie Bennet gehört zum ländlichen Kleinadel und lebt bei zweitausend Pfund pro Jahr in eher bescheidenen Verhältnissen. Die soziale Differenz zwischen der Familie Bennet und dem vermögenden Adel bildet einen wichtigen Punkt des Buches, wenn nicht sogar den Angelpunkt, nämlich die Schwierigkeit, die Standesunterschiede zu überwinden. Das betrifft vor allem das Verhältnis der zweitältesten Tochter Elizabeth zu dem reichen Aristokraten Mr. Darcy, das die wechselvolle Handlung des Buches bestimmt und auf seinen Titel verweist: Elizabeth ist in Vorurteilen gegenüber Mr. Darcy befangen, und Mr. Darcy fällt es aus Stolz nicht leicht, sich seine Liebe zu Elizabeth einzugestehen.
Elizabeth, meist Lizzy genannt, eine überaus einnehmende junge Frau, ist die eigentliche Protagonistin des Buches, durch deren Augen wir das Geschehen wahrnehmen. Vielleicht hat sich die Autorin Jane Austen in Lizzy selbst dargestellt, in ihrem Mut, ihrem Witz, ihrer Fröhlichkeit und Klugheit, aber das ist eine bloße Vermutung - wir besitzen nur wenige persönliche Zeugnisse über Jane Austen. Sie schildert die Dinge durch die scharfen Augen ihrer Heldin, ohne die Kontrolle über das Geschehen völlig abzugeben, und verfügt in hohem Maß über die Fähigkeit, die Figuren, statt sie von außen zu beschreiben, im Gespräch zu zeigen und zu charakterisieren. Wir müssen die Figuren nicht vor Augen sehen, Jane Austen genügt es, dass wir sie kennen. Das gibt dem Roman zuweilen einen satirischen Zug.
Hinter den individuellen Konflikten ist stets der Standeskonflikt erkennbar, der nie an Bedeutung verliert, und das ökonomische Interesse, das die Figuren leitet, schimmert immer durch. Von jeder Romanfigur erfahren wir das jährliche Einkommen, es wird genau in englischen Pfund beziffert. Ein amerikanische Kritiker hat Jane Austen deswegen "die erste marxistische Erzählerin" genannt, was sicher eine Übertreibung ist, aber auch wenn "Stolz und Vorurteil" zielsicher auf ein Happy End zusteuert, verliert die Autorin nie aus den Augen, was man die "gesellschaftlichen Bedingungen" nennt.
Eine Gattung als Kunstform
In der Geschichte des Romans spielt Jane Austen schon dadurch eine wichtige Rolle, dass sie diese Gattung als Kunstform behandelt hat, in aller äußeren Leichtigkeit mit straffer Disziplin und großer Meisterschaft. Das war um 1800 nicht selbstverständlich. Hinsichtlich der Komposition lässt sie wenig zu wünschen übrig, und sie entwickelt ihre Erzählung so selbstverständlich, in ihrem Realismus so präzise und lebendig, dass sie durchweg den Eindruck der Mühelosigkeit erweckt. Überdies schreibt sie geistreiche Dialoge von der Qualität eines guten Theaterstücks. Heute ist sie zur literarischen Kultfigur geworden, und ihre Bücher sind ideale Vorlagen für immer neue Verfilmungen. Rudyard Kipling, der englische Dichter, hat Jane Austen bereits vor hundert Jahren mit den Versen gehuldigt: "Jane lies in Winchester, blessed be her shade! / Glory, Love, and Honour unto England’s Jane!"