Fotoband: "Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers"
Der gebürtige Venezianer Federico Povoleri zeigt im Bildband "Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers" seine Heimat aus eigener Perspektive. Seine traurig-liebevollen Schwarz-weiß-Fotografien ergänzt Povoleri durch grüblerische Texte.
Beim Schleswig-Holstein Musik Festival bricht die letzte Woche an. Passend zum Festival-Motto "Musikmetropole Venedig" geht es noch mehrfach um venezianische Klänge und natürlich viel um Vivaldi. Auch der Bildband von Federico Povoleri versammelt Eindrücke aus der tausendfach fotografierten Lagunenstadt. Aber anders als gewohnt - keine Bilder von Markusplatz, Rialto, Canal Grande, nochmal Markusplatz. Dieser vor zwei Jahren erschienene Band zeigt "Venezia - gesehen mit den Augen eines Venezianers". Und das führt zu ganz anderen Blickwinkeln.
Venedig als nass-kalte Schönheit
Düstere, windzerfetzte Wolken über der Stadt. Noch erstrahlt die Silhouette von Dorsoduro mit der weiß emporragenden Basilika im grellen Schein der tiefstehenden Sonne. Doch das schwarze, beinahe glatte Lagunenwasser spiegelt die Düsternis des Himmels - und die Seelenstimmung des Fotografen. Der zeigt uns seine Stadt, seine Geliebte, seine steinerne Herzensdame, wie sie selten gezeigt und von Besuchern selten gesehen wird: als eine nass-kalte Schönheit mit einsamen Bewohnern, spiegelnden Pfützen, wabernden Nebeln und leise rieselnden flüchtigen Traumbildern.
Regen prasselt hernieder, weht in feuchten Fransen über den Hausdächern und wäscht die sonst so vielbegangenen Gassen leer.
Ein Motoscafo, eines der venezianischen Wassertaxis, im Kampf gegen die stampfenden, rumpelnden Winterwellen. Im dichten Schneegestöber schiebt und blubbert es sich vorwärts durch die Dunkelheit, den aufgereihten Lichtern der noch entfernt liegenden Uferlinie entgegen. Touristen dürften sich wohl keine im Innern des schneebedeckten Motorbötchens befinden; es ist nicht ihr Wetter, nicht ihre Jahreszeit. Für die Einwohner der Stadt hingegen ist so eine Wintertour normal.
Ein Blick auf Venedig fernab des Tourismus
"Venezia - gesehen mit den Augen eines Venezianers": Diesen Buchtitel darf man wörtlich nehmen. Das heißt: gesehen nicht durch die Kameralinse eines Touristen, eines in die Stadt gereisten Profi-Fotografen, dessen Bett, Haus, Arbeitsweg sich ganz woanders befinden und der mit staunenden oder berechnenden Augen auf das schaut, was sich als Bild zu verkaufen lohnt. Povoleri ist hier zu Hause.
Aber seine Bilder der steinernen, nassen Schönheit zeigen zugleich auch nur den individuellen Blick "eines" Venezianers, denn Federico Povoleris Augen sehen ganz eigene Dinge, Schemen, Schönheiten.
Ich wurde dort geboren und habe unauffällig in der Stadt gelebt, und zwar ohne auf ihre Traditionen Wert zu legen. Ich kann nicht fischen und noch viel weniger kann ich ein Ruderboot steuern. Jedoch die rätselhafte Seele dieser Lagune, ausgewählt von geheimnisvollen Vorfahren, um in ihr eine Architektur von wunderbarer Schönheit zu errichten, hat mich begleitet und in den Jahren meiner Wanderung auf unbekannten Wegen nie verlassen. Venezianer zu sein war Lebensluft für mich. Leseprobe
Der Alltag der Venezianer in Schwarz-weiß
Die Sonne ist der Feind Venedigs. Bei Sonne sind die Invasoren da, die Barbaren, die in die Stadt eindringen, sie überfluten, um Pizza und Ramsch zu kaufen und dabei eine Million Selfies zu machen.
Regen und Schnee dagegen sind Freunde. Bei Schnee und grauem Himmel wird die Lagunenstadt schwarz-weiß - die bevorzugte Farbwahl Povoleris.
In diesen Farben - und zahllosen Graustufen dazwischen - zeigt er uns einzelne Venezianer im schummrigen Laternenlicht, als Fußgänger mit schweren Einkaufstüten in jeder Hand. Oder beim Warten aufs Wassertaxi, am Rand eines Kais unter windig-wolkigem Himmel. Den kahlköpfigen, alten Mann in Gummistiefeln, der bei Hochwasser auf einer Holzbrüstung eines Cafés sitzt und Zeitung liest; wir Betrachter können eine knallige Werbezeile einer Anzeige lesen: RELAX.
Traurig-liebevolle Ansichten einer traumschönen Stadt
Povoleri zeigt uns die Arbeiter, die am Markt von Rialto einen Lastkahn entladen: Hepp!, und ein Bierfass fliegt durch die Luft; der Werfer in gummierter Anglerhose schaut sportlich-amüsiert dem Flugobjekt hinterher, das sein Kumpel im schlabbrigen Joggingdress und mit Arbeitshandschuhen - huah! - gleich locker auffangen wird.
Geisterhafte Schatten von Personen oder geschwungenen Laternen an bröckelnden Wänden; ein am Steg abgestellter alter Fernseher, dessen Bildschirm nur noch die Backsteinmauer gegenüber spiegelt; Fischschwärme im Kanalwasser; wellige, wandernde Traumbilder.
"(…) eine zweite Dimension, die von Geistern bewohnt wird, die die Gestalt von Palästen, Personen, Schiffen und Tieren angenommen haben. In dieser Stadt voller Schatten und Reflexionen verblassen die schlafenden Gestalten und erlauben den Geistern zu erwachen (...)", schreibt Povoleri und erweist sich in diesem Bildband voller traurig-liebevoller Ansichten als melancholischer, letztlich als desillusionierter Träumer. Einer, der weiß, was seiner traumschönen Stadt bevorsteht, in der Billigheimer von Fern die alten Bewohner allmählich verdrängen.
Von Zeit zu Zeit schleicht sich einer weg, während andere Lärm machen. Venedig betrachtet still die Letzten, die ihrem Herzen nahestehen. Leseprobe
Venezia - Gesehen mit den Augen eines Venezianers
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- 120 Schwarz-Weiß-Fotografien
- Verlag:
- teNeues
- Bestellnummer:
- 978-3-96171-398-1
- Preis:
- 50 €