Eine Frau guckt in die Kamera. © Angela Simi

Eva Lohmann: "Ehrlichkeit zeichnet mich als Autorin aus"

Stand: 13.10.2023 06:00 Uhr

Natürlich kennt die Hamburger Autorin Eva Lohmann Konventionen - im Leben wie im Schreiben. Und doch stellt sie sie immer wieder auf den Kopf, in ihren Romanen wie in ihrem Leben. Eine Annäherung.

von Britta Schmeis

Eva Lohmann ist introvertiert und aufgeschlossen, findet ihre Energie im Alleinsein und mag die Gesellschaft von Menschen, redet über Ängste, Probleme, ihre psychischen Probleme und ist doch in sich zurückgezogen. Eva Lohmann scheint ein Paradox und ist doch unbedingt stimmig als Person und als Autorin. Wer ihre Bücher liest, lernt eine kluge Erzählerin und genaue Beobachterin kennen, die nicht in das derzeit überstrapazierte autofiktionale Schreiben verfällt, sondern von Leben erzählt - Leben, die plötzlich auf dem Kopf stehen und in denen sich viele wiederfinden. Wie jetzt in ihrem jüngsten Roman. "Das leise Platzen unserer Träume" heißt er.

"Das leise Platzen unserer Träume": Zwei Frauen lieben einen Mann

Es geht um Hellen und Jule. Sie beide lieben den gleichen Mann - oder meinen, ihn zu lieben -, die eine als Affäre, die andere als Ehefrau. Hellen ist eine alleinerziehende Mutter von Zwillingen in Hamburg, die immer so gerade über die Runden kommt. Jule lebt irgendwo auf dem Land vor den Toren der Stadt - immer noch mit dem Traum, schwanger zu werden, obwohl sie schon lange nicht mehr mit ihrem Mann schläft. Es ist David, die Affäre von Hellen. Aus beiden Perspektiven lässt Lohmann die beiden Frauen erzählen, Hellen aus der Ich-Perspektive, Jule in der dritten Person. Sie spielt mit den Sympathien der Lesenden, ergreift niemals Partei, wertet nicht.

"Irgendwann ist jeder schon mal in seinem Leben vor die Wand gelaufen", sagt die 42-jährige Lohmann. Dafür habe sie im Laufe der Zeit eine gewisse Art von Verständnis entwickelt. Als jüngerer Mensch war sie radikaler, dachte in Schwarz- und Weiß-Kategorien, doch mit der Zeit sind Grautöne hinzugekommen. "Ich wollte diese beiden Frauen zusammenbringen, die so unterschiedliche Leben führen, nur durch einen Mann verbunden sind, aber nach und nach füreinander ein gewisses Verständnis entwickeln", sagt sie weiter. Denn Hellen weiß von der Ehefrau Jule. Jule hingegen tappt lange im Dunkeln.

Lohmann: "Getrennt erziehend ist für mich perfekt"

Auch Lohmann ist schon mal vor die Wand gefahren, mindestens einmal. Sie hat eine lange, schmerzhafte Trennung von ihrem Mann und Vater ihrer Tochter hinter sich. Sie träumte ganz konventionell von einer Familie mit Kind, Mann, Haus, einem schönen Beruf. "Ich bin aber jetzt einfach sehr viel glücklicher, auch wenn es manchmal wehtut andere Familie zu sehen, bei denen das Modell funktioniert hat", erzählt die 42-Jährige. "Getrennt erziehend" nennt sie ihr Modell und es ist für sie perfekt. "Ich habe mein Kind zu 50 Prozent, das gibt mir viel Raum zum Arbeiten und viel Raum und Energie, ganz für meine Tochter da zu sein."

Und trotzdem will sie den Roman nicht als autobiografisch verstanden wissen. Auch wenn sie viele Gefühle, Gedanken ihrer beiden Protagonistinnen kennt, aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen mit Freundinnen und Bekannten, aus Begegnungen und Beobachtungen. Sehr präzise, in einer klaren Sprache und sehr berührend erzählt sie von diesen beiden Frauen in ihrem Roman. Und schonungslos offen. "Ich bin sehr, sehr mutig, was die Ehrlichkeit angeht, diese Ehrlichkeit macht mich als Autorin auch aus." Denn, so hat sie festgestellt, je ehrlicher sie ist, desto mehr öffnen sich auch die Menschen.

Debütroman "Acht Wochen verrückt" wurde zu Bestseller

Schon in ihrem Debüt "Acht Wochen verrückt" von 2011, das zu einem Bestseller wurde, verarbeitete Lohmann ihren eigenen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Es ist kein Sachbuch, sondern eine genaue, fiktionalisierte Beobachtung eines realen Lebens, in dem nicht alles perfekt läuft, von einer Frau, der ihr Leben ein bisschen zu viel geworden ist. Die existenzielle Frage darin lautet: "Warum bricht ein Mensch zusammen?" In ihrem Sachbuch "So schön still" aus dem vergangenen Jahr beschäftigt sie sich mit der Stärke introvertierter Kinder und Eltern. "Es herrscht immer die Meinung, dass introvertierte Menschen still und verschlossen sind. Das ist aber gar nicht unbedingt der Fall", sagt Lohmann. Tatsächlich drängen sie nur nicht von sich in die Öffentlichkeit, sondern sind von Themen getrieben. Sie schöpfen Energie, wenn sie allein sind, im Austausch mit anderen verlieren sie sie oft.

Sie selbst wuchs mit ihrer Mutter, einem eher ängstlichen Menschen, in der Nähe von Köln auf, ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie zwei war. Und obwohl sie immer schon gern las und schrieb, machte sie nach dem Abitur erstmal eine Ausbildung zur Innenausstatterin, schloss eine als Werbetexterin in Hamburg an. "Ich habe lange nicht gewagt, den Traum als Schriftstellerin zu arbeiten, zu verfolgen. Das finde ich heute schade", sagt sie. Inzwischen gibt ihr das Autorinnen-Dasein viele Freiheiten, nicht nur, um sich um ihre Tochter zu kümmern. Lohmann schreibt hin und wieder für Magazine und berät Mütter beim Wiedereinstieg in den Beruf.

Solidarität unter Müttern

Privat versucht sie, andere Mütter und Eltern in der eigenen Mutter-Zeit zu unterstützen. "Ich erlebe diese Form der Solidarität hier in meiner Blase in Ottensen sehr stark", sagt sie. Vielleicht kann sie sich die beiden so unterschiedlichen Frauen im Roman deswegen so ungewöhnlich annähern lassen. Gerade arbeitet sie bereits an einem neuen Roman. Auch darin geht es um ein Thema, das einen Teil ihrer Lebenswirklichkeit widerspiegelt, nicht autobiografisch, aber ehrlich und unbedingt offen jenseits der Konventionen zu denken.

Weitere Informationen
Cover des NDR Buch des Monats Oktober "Südfall" von Florian Knöppler © Pendragon Verlag

NDR Buch des Monats Oktober: "Südfall" von Florian Knöppler

Autor Florian Knöppler lebt auf einem Hof in Nordfriesland. Dort spielt auch sein Roman, der die Geschichte einer Flucht aus Nazi-Deutschland erzählt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 16.10.2023 | 07:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Martina Hefter, Frank Schätzing, Markus Thielemann, Isabel Bogdan oder Lucy Fricke. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur sucht Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Udo Kier während der Preisgala in Braunschweig © Internationale Filmfestival Braunschweig Foto: Carisma Jan Harenberg

Filmfest Braunschweig: Preise für "Block Pass", "Sunlight" und Udo Kier

Bei der 38. Ausgabe des Filmfestes gewinnen die französische Produktion "Block Pass" und die irische Regisseurin Claire Dix die Hauptpreise. mehr