Cover - Ernest Hemingway: "The Sun Also Rises (Fiesta)" © rororo

Ernest Hemingway: "The Sun Also Rises (Fiesta)"

Stand: 05.07.2016 15:29 Uhr

In der zweiten Staffel der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir in 25 neuen Folgen durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Ernest Hemingways "Fiesta".

Von Hanjo Kesting

Cover - Ernest Hemingway: "The Sun Also Rises (Fiesta)" © rororo
"Fiesta" war Hemingways erster großer Schritt auf der Stufenleiter des Erfolgs.

Hemingways "Fiesta" trägt im amerikanischen Original den Titel "The Sun Also Rises". Ein Vers aus dem Prediger Salomo. Mit dem biblischen Titel konnte man 1926 bereits in England wenig anfangen und nannte das Buch "Fiesta", weil der größte Teil des Romans während einer Fiesta im spanischen Pamplona spielt. Unter diesem Touristentitel ist er dann auch ins Deutsche übersetzt worden. Als Motto ist ihm ein Satz von Gertrude Stein vorangestellt, der bald zum Modewort des Zeitgeistes wurde: "Ihr alle seid eine verlorene Generation."

"C'est une génération perdue" - das bezog sich auf die Erfahrung des Ersten Weltkriegs - in Trunkenheit und Euphorie hatte er begonnen und war als Massenschlächterei geendet. Auch "Fiesta" entstand im Schatten der Kriegserfahrung, obwohl der Krieg im Buch kaum erwähnt wird. Es spielt in Paris, in den Cafés und Bars des Quartier Latin, unter Menschen, die um jeden Preis Vergnügen und Amüsement suchen, in der lockeren und leichtlebigen Lebensform der zwanziger Jahre. Der Ich-Erzähler heißt Jacob Barnes, ein amerikanischer Journalist, der sich dieser Gesellschaft angeschlossen hat, um zu erfahren, "wie man sich auf der Welt zurechtfindet". Hemingway hat seinem Helden eine Kriegsverletzung mitgegeben, und zwar an der empfindlichsten Stelle. Das beeinträchtigt nach außen hin nicht seine Männlichkeit. Scott Fitzgerald, einer der ersten Leser, hat es mit den Worten ausgedrückt: "Er ist wie ein Mann, der so etwas wie einen moralischen Keuschheitsgürtel trägt."

Roman ohne Handlung

Feiernde des "San Fermín"-Fests in Pamplona, Nordspanien, werden von oben mit Wasser bespritzt © dpa bildfunk Foto: Jesus Diges
Feiernde des "San Fermín"-Fests in Pamplona, Nordspanien, werden am 6. Juli von oben mit Wasser bespritzt. Am 7. Juli beginnt traditionell das Fest, bei dem 206 Stunden durchgefeiert und getrunken wird.

Man kann durch bloße Nacherzählung keine Vorstellung von Hemingways Roman vermitteln. Es gibt keine Handlung, keine Fabel, und die Situationen wirken wie zufällig aneinandergereiht. Um die drei Hauptfiguren bewegt sich eine Reihe von präzis gezeichneten Nebenfiguren, die plötzlich auftauchen und wieder verschwinden und hauptsächlich damit beschäftigt sind, Banalitäten auszutauschen und ihre Zeit totzuschlagen. Unaufhörlich wird getrunken. Ein Kritiker schrieb ironisch, der Schlüsselsatz des Buches sei: "Trink was!", er sei geradezu die Formel für die romantische Desillusionierung der Zeit, ihren unterschwelligen Nihilismus.

Typischer Hemingway-Sound

Man beschließt, eine Fahrt zur großen Fiesta nach Pamplona zu machen. Aber vorher fährt Jake mit seinem Freund Bill zum Angeln in die Pyrenäen, womit man, thematisch wie stilistisch, in Hemingways ureigenen Bezirk gelangt, in die Welt der Jagd und der Männerfreundschaft. Es ist wie die Suche nach dem verlorenen Paradies in einer Welt, die sich prinzipiell im Kriegszustand befindet. Und der typische Hemingway-Sound wird angeschlagen, der vor neunzig Jahren wie eine epidemische Krankheit über die literarische Welt kam. Ein Stil, der schon bei Hemingway zur Manier tendiert und dessen Nüchternheit fast romantische Wirkungen hervorbringt.

Dann explodiert in Pamplona die Fiesta. Und in der Gruppe der Stierkampf-Touristen entladen sich alle aufgestauten Spannungen: Brett Ashley, Jake Barnes' große Liebe, brennt mit einem Stierkämpfer durch, er selbst reist für einige Tage nach San Sebastián, wo er ein einsames Hotelzimmer bezieht. Er will Atem schöpfen, mit Schwimmen und Tauchen seine Zeit verbrauchen, das reale Leben spüren. Er nimmt die Dinge in ihrer reinen Faktizität, sie bedeuten nichts, sind nichts als sie selbst. Der ganze Roman ist ein Gang am Rand der Sinnlosigkeit. Und Hemingways sachliche, einfache Prosa, seine knappen Aussagesätze ohne jede Spur von Emotion sind der inneren Befindlichkeit des Helden genau angemessen. Es ist eine Sprache des gebannten Schreckens.

"Fiesta" war Hemingways erster großer Schritt auf der Stufenleiter des Erfolgs. Das Buch löste bei jungen Lesern eine Welle der Nachahmung aus, wie anderthalb Jahrhunderte zuvor Goethes "Werther". Tatsächlich ist "Fiesta" Hemingways größtes Kunstwerk. Es lässt die brüchigen Stellen und verletzlichen Seiten des Autors durchschimmern, während seine späteren Romane bereits von der Hemingway-Legende zehren. In "Fiesta" hat er dem Zweifel einen gewissen Raum gelassen hat, all diesen im Krieg zerbrochenen Illusionen, die das Motto des Buches festhält: "Ihr alle seid eine verlorene Generation."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur Wissen | 04.10.2016 | 09:20 Uhr

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