Schöne, traurige Verlierer-Geschichten
Clemens Meyers Texte sind außergewöhnlich schön und ebenso traurig. In seinen Erzählungen "Die stillen Trabanten" von 2017 widmet sich der Autor erneut Menschen am Rand der Gesellschaft.
2017 wurde bekannt, dass der Leipziger Autor Clemens Meyer mit der Übersetzung seines Romans "Im Stein" für den Man Booker International Prize nominiert wurde, zumindest erst mal für die Longlist. Hut ab, dort findet sich Meyer neben den Großen der Welt, Amos Oz und Ismail Kadare zum Beispiel. Den Preis der Leipziger Buchmesse hat Clemens Meyer schon 2008 erhalten, allerdings gibt es Leute, die sagen, seine neuen Erzählungen "Die stillen Trabanten" seien so gut, dass er auch diesen Preis gleich noch einmal verdient hätte.
Interesse am "wirklichen Leben"
Jeden Freitagnachmittag geht Clemens Meyer ins Scheibenholz - auf die Leipziger Pferderennbahn. Nicht etwa als recherchierender Schriftsteller - er hält hier Anteile an einem Rennpferd, er gehört dazu. Pferdesport in Leipzig, muss man wissen, ist kein Hobby für Besserverdiener. Er führt eher ein Nischendasein. Womit wir bei dem sind, was Clemens Meyer interessiert: das, was man das "wirkliche Leben" nennt. "Das Entscheidende ist das ganze Drumherum, die Leute, die Alten, die Oldtimer, die noch von alten Zeiten erzählen können", sagt er. "Originale, die ihr ganzes Leben lang im Pferdesport verbracht haben und für die das auch Leidenschaft und Leben ist. Das ist natürlich toll, das mitzuerleben und da selber auch ein bisschen ein Teil davon zu sein."
Gewinner sind Clemens' Meyers Sache nicht
Eine der Erzählungen in Meyers neuem Buch "Die stillen Trabanten" handelt von einem ehemaligen Jockey. Einem, der sein Leben lang knapp am Sieg vorbeigeritten ist. Gewinner sind Meyers Sache nicht. Eine weitere Geschichte erzählt von einem Imbiss-Besitzer, der sich in eine verheiratete Muslima verliebt. Auch daraus wird nichts, man kann es sich denken. Clemens Meyers Texte sind außergewöhnlich schön und ebenso traurig. Auf den ersten Blick sind es Verlierer-Geschichten. Sagt man aber, er beschreibe den Rand der Gesellschaft, wird Meyer fuchsig. "Ich bin viel auf Reisen, ich bewege mich hier durch die Stadt, und das sind einfach ganz normale Leute für mich", betont er. Er beschreibe in seinem Buch keine Randfiguren. "Einer ist ein Lokführer, aber das ist keine Geschichte über den Lokführer, sondern es ist eine Geschichte über eine ungeheure Begebenheit." Der Mann überfahre jemanden und glaube, ihn aus der Schulzeit zu kennen. "Das sind die Tragödien des Alltags, die mich so interessieren, oder die Begebenheiten. Natürlich muss ich sie arrangieren, das ist das Entscheidende. Aber diese Orte und diese Figuren, die sind einfach da, die existieren um mich herum, und ich kann mich ihnen überhaupt nicht entziehen", sagt er.
Ganz normale Leute werden zu Kunstfiguren
Clemens Meyers Rückzugsraum ist seine Arbeitswohnung im Leipziger Osten: zehn Quadratmeter voller Bücher und Erinnerungen, in denen er aus den ganz normalen Leuten Kunstfiguren macht. Komponiert, wie er sagt. Was vor seinem Fenster geschieht, prägt ihn, und er lohnt sich, dieser Blick, vor allem für Leute, die ihre Fenster in einer besseren Gegend haben. "Ich hatte nie das Bedürfnis hier ganz wegzugehen, weil ich auch ein Mensch bin, der Veränderungen scheut", sagt er. "Ich brauche meine Umgebung, meine Räume, in denen ich mich bewege, und natürlich nehme ich dann wahr, was hier so passiert. Aber eher als Beobachter. Das schwingt natürlich mit, die Zeit, in der wir uns bewegen, die färbt natürlich in die Geschichten rein. Überall kommt es rein, aber es gibt keine Geschichte über Pegida oder wen auch immer oder über die großen Flüchtlingsströme. Das kommt rein, automatisch, weil die Figuren natürlich auch auf die Welt schauen."
Poetischer Realismus
Meyers Figuren suchen in dieser gerade im Osten noch immer und immer aufs Neue ungefestigten Welt das Glück. Meistens finden sie es nicht. Sie hören nicht auf zu träumen, aber als Leser weiß man längst, dass das nächste Unglück bereits auf sie wartet. Selten wird das so einfühlsam erzählt wie in Clemens Meyers poetischem Realismus. Einer seiner Helden schaut immer wieder auf die stillen Trabanten, die Plattenbau-Vorstädte am Horizont. Ein typisches Meyer-Bild, das zugleich eine Metapher ist. "Die Trabanten sind natürlich auch die Personen in den Geschichten. Die sich umkreisen, umtanzen, und obwohl sie viel kommunizieren, doch irgendwie eine Kommunikation nicht möglich ist", sagt er - "schade eigentlich".
Die stillen Trabanten
- Seitenzahl:
- 272 Seiten
- Genre:
- Erzählungen
- Verlag:
- S. Fischer
- Bestellnummer:
- 978-3-10-397264-1
- Preis:
- 20,00 €