"Die Nächte der Pest": Orhan Pamuks Liebes- und Freiheitsroman
"Die Nächte der Pest" ist der neue Roman des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk. Schon der Titel deutet an: Pamuk blickt wieder einmal auf unsere Gegenwart durch die Brille der Geschichte.
Bonkowski Pascha ist das, was wir heute einen Krisenmanager nennen. Der oberste Gesundheitsinspektor des Osmanischen Reichs unter Sultan Abdülhamit II. hat erst kürzlich in Izmir mit strengen Quarantäne-Maßnahmen die Pest besiegt. Als er 1901 auf der Insel Minger eintrifft, ahnt Gouverneur Sami Pascha nichts Gutes. Einer wie Bonkowski kommt nur bei Gefahr in Verzug. Also soll der Geheimdienst sich um ihn kümmern. Ohne Erfolg.
Bonkowski Pascha freute sich draußen, seinen Bewachern entkommen zu sein, wenn auch wohl nicht für lange. Er trat auf eine ziemlich steil ansteigende Gasse hinaus. Bald würden sie hinter ihm her sein und ihn finden, doch einstweilen war er hochzufrieden, in seinem Alter allen ein Schnippchen geschlagen zu haben. - Zwei Stunde später wurde auf einem Grundstück schräg gegenüber von der Apotheke Pelagos seine blutige Leiche aufgefunden. Leseprobe
Mord aufklären und gleichzeitig Pest bekämpfen
Was als Historien-Roman beginnt, bekommt plötzlich krimihafte Züge. "Die Nächte der Pest" wird zum Pageturner. Nach der Ermordung Bonkowskis kommen andere Abgesandte des Sultans: der Quarantäne-Experte Doktor Nuri und dessen Frau Pakize, die Nichte des Sultans.
Sie sollen den Mord aufklären und zugleich die Pest bekämpfen. Die schwelenden Konflikte zwischen Christen und Muslimen verschärfen sich mit jedem weiteren Pesttoten. Gegenseitig machen sie sich Schuldvorwürfe, je strenger die Quarantäne-Vorschriften umgesetzt werden.
Ließen die Beamten sich vom Jammern geiziger Geschäftsleute in der Regel nicht beeindrucken, so kamen manche Ladenbesitzer doch glimpflich davon, da es einen Schadensersatzausschuss gab, der für leer geräumte Geschäfte oftmals großzügige Entschädigungen versprach. Den Schustern und Lederhändlern an der Alten Brücke half jedoch alles Zetern und Wettern nichts. Immer wieder waren Dinge zu hören wie: "Die Quarantäne ist doch bloß da, um uns Christen zu vergraulen, und die Pest haben uns die muslimischen Pilger eingebrockt." Leseprobe
Kampf gegen eine Seuche kann zu politischen Umwälzungen führen
Pamuk überlässt sämtliche Bezüge zur Gegenwart seiner Leserschaft, obwohl die Rahmenhandlung bis ins Jahr 2021 führt. Da entpuppt sich die Ich- Erzählerin, die sich schrittweise zu erkennen gibt, als die Urenkelin der Sultansnichte Pakize.
Ob wir aus Geschichte etwas lernen können, weiß auch Orhan Pamuk nicht. Aber wie der Kampf gegen eine Seuche zu politischen Umwälzungen führen kann, zu Mord, Verwüstung und Krieg, das erzählt der Nobelpreisträger parabelhaft; auch davon, wie Wissenschaftler und Religionsanhänger, sobald sie einmal glauben, im Recht zu sein, sich in Bestien verwandeln können. "Die Nächte der Pest" ist aber auch ein Liebes- und Freiheitsroman. Dafür steht Major Kamil, der - beeinflusst durch die Schriften der französischen Revolution - zum Helden wird.
"Exzellenz, ohne Ihre Umsicht und Ihre Willenskraft hätten wir diese heutige Stunde nicht erleben dürfen. Möge Gott Ihnen dafür danken! Von nun an sind Sie nicht mehr der Gouverneur des Sultans, sondern der Gouverneur des Volkes! Wir rufen nunmehr die Unabhängigkeit Mingers aus! Von diesem Augenblick an ist unsere Insel frei. Es lebe Minger, (…), es lebe die Freiheit!" Leseprobe
Freiheit ist auch das letzte Wort des Romans. Und für die Freiheit, vor allem für die Freiheit des Wortes, tritt Orhan Pamuk seit vielen Jahren ein - manchmal auch vor Gericht. Dieses Mal aber mit großer Überzeugungskraft und äußerst unterhaltsam mit seinem neuen Roman.
Die Nächte der Pest
- Seitenzahl:
- 696 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser Verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 14. Februar 2022
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27084-8
- Preis:
- 30,00 €