Das Tor zu einer anderen Welt
Im letzten Jahr hat der Kieler Schriftsteller Christopher Ecker den Deutschen Lehrerpreis in der Kategorie "Schüler zeichnen Lehrer aus" erhalten. Für sein literarisches Schaffen, besonders den 1.000-seitigen Roman "Fahlmann", bekam er den Hebbel-Preis. Jetzt ist sein neues Buch auf dem Markt: "Der Bahnhof von Plön" trägt einen Titel, der harmloser wirkt, als der Roman ist.
Leichentransporte in einer düsteren Absteige
Nein, Christopher Ecker hat keinen Provinzkrimi geschrieben: "Der Bahnhof von Plön" beginnt in einem preiswerten Hotel in New York, das der Autor kennt: "Dieses Hotel war ein offenbar noch benutztes Laufhaus (Bordell, Anm. d. Redaktion). Ich wohnte in einem Zimmer ohne Fenster mit nur einer Dachluke, die Tür schloss nicht richtig, die Gänge waren ganz eng, und ich hatte auf einmal das Gefühl, das ist eigentlich das Setting für eine Geschichte." William S. Burroughs und John Coltrane sollen da verkehrt haben. Der Serienmörder Joel Rifkin hat hier seine Opfer aus dem Drogen- und Prostituiertenmilieu gesucht: "Und da entstand plötzlich die Idee, dass eine Person Leichen transportieren soll."
Dem surrealen Leichentransport über drei Etagen stellt der Ich-Erzähler ein wiederkehrendes Motiv voran: das Bild vom paralysierten Meerschweinchen, dem er als Kind sein Häuschen weggenommen hat. "Der Ich-Erzähler sieht sich nämlich in allem, was er tut, als Opfer. Ob das jetzt berechtigt ist oder nicht, das sei mal dahingestellt", erklärt Christopher Ecker und weckt zugleich Zweifel. Ein Verfahren, das den Roman durchzieht.
Ominöse Mächte, verkörpert in einer unsympathischen Figur, die der Erzähler den Lotsen nennt, haben den absurden Auftrag erteilt. Wie er ihn ausführt, beschreibt Ecker so minutiös wie ein literarisches Splattermovie: "Ja, aber das ist eklig. Ich versuche das nicht zu beschönigen."
Fantastischer Roman mit kleinem realistischen Kern
Der Autor beruft sich hier auf den realistischen Kern in einem Roman, der mit jeder Seite fantastischer wird. Der Held kann mit der U-Bahn von New York nach Paris und Kiel springen. Unvermittelt erinnert er sich an Festungen aus mythischer Zeit, die nun tatsächlich in der Kieler Region oder auf Inseln im Plöner See liegen. Eine verlorene Heimat, deren Beschreibung Christopher Ecker mit poetischen Vergleichen gezielt überfrachtet: "Ich wollte teilweise in so ein märchenhaftes Erzählen reinkommen."
Der Held erscheint so als verlorener Prinz, der eine seltsame alte Sprache spricht und Tiere versteht. Skurril wird es, wenn ein mordlüsterner Nagel vergessene Epen singt. Phineas haben ihn die Pflegeeltern getauft, das klingt nach Fantasy, grinst Ecker: "Deshalb fand ich diesen Namen sehr geeignet für jemand, der glaubt, ein Elfenprinz zu sein. Aber andererseits verweist es auf einen neurologischen Fall: 1848 hat ein Gleisarbeiter bei einer Explosion eine Eisenstange durch den Kopf bekommen."
Durch die Verletzung hatte Phineas die Fähigkeit zur Empathie verloren, was die philosophische Frage nach dem freien Willen aufwirft. Eckers Phineas verneint sie kategorisch. Das Leben ist sinnlos, alle Wege sind falsch. Gott ist böse. Mitleid kennt er nicht.
Der Held im "Bahnhof von Plön" ist mehr der Nietzsche- und Schopenhauer-Typ. Bei seinem Leichenjob genießt er detailverliebt beschriebene Mahlzeiten. Der klischeehafte Trinker und Raucher ist auch ein Gourmet: "Das finde ich ganz ganz schrecklich und das hat mir ihn sehr, sehr unheimlich gemacht als Helden."
Fragen nach Identität, Erinnerung und Sinn
Das unheimliche Raunen aus uralten Zeiten kann auch alkoholbedingt sein. Oder sind es Halluzinationen und Verfolgungswahn im Drogenrausch? Ein mysteriöser Doktor verabreicht dem Patienten Injektionen. Ecker löst das nicht auf: "Letztendlich sind das alles metaphorische Darstellungen von völliger Verlorenheit."
Der Bahnhof Plön als mystisches Tor zu einer anderen Welt, dieses Bild geht auf einen persönlichen Eindruck zurück: "Ich kenne keinen Bahnhof, der so nah am Wasser liegt. Das hat für mich so eine symbolische Kraft. Da kann der Bahnhof nichts zu."
Viel kann dagegen Christopher Ecker für die etwas disparat bleibende, dennoch spannend und witzig erzählte abgedrehte Mischung aus einem Schuss Kerouac, dem Import irischer Elfenmythen an die Ostseeküste, einem Touch Tolkien und Mystery-Elementen à la David Lynch als Spielraum für die Frage nach Identität, Erinnerung und Sinn.
Der Bahnhof von Plön
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Mitteldeutscher Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-95462-530-7
- Preis:
- 22,95 €