"Brunnenstraße": Andrea Sawatzkis Roman über ihre Kindheit
Die Schauspielerin Andrea Sawatzki hat auch als Autorin etliche Bücher veröffentlicht. Jetzt erscheint ihr autobiografisch grundierter Roman über ihre Kindheit.
Es ist die Geschichte einer Kindheit, die zum Teil so hart ist, dass einem bei der Lektüre buchstäblich der Atem stockt. Erzählt wird davon ohne jeden Hauch von Larmoyanz oder Selbstmitleid. Die Mutter der Ich-Erzählerin Andrea hatte eine leidenschaftliche Liebesgeschichte mit einem verheirateten Mann. Sie zog die Tochter allein groß und suchte als Krankenschwester immer wieder nach Möglichkeiten, das Kind während ihrer Arbeitszeiten gut betreuen zu lassen. Fünf Jahre lang kümmerte sich die Familie Sonntag um das Kind und Andrea sagt, es seien die schönsten im Leben gewesen. Richtig schlimm wurde es für das Kind, das hier seine Geschichte erzählt, erst, als die Ehefrau ihres leiblichen Vaters starb und ihre Eltern endlich zusammenzogen. Da war sie 15 Jahre alt. Die Geschichte, die dann begann, zu heben, war Schwerstarbeit, bekennt sie am Anfang ihres Buches:
Ich habe es versucht. Immer wieder. Habe begonnen und abgebrochen. Und dann die Geschichte so erzählt, dass ich selbst eine Fremde sehen konnte, mit der ich nichts zu tun hatte. Ich verbarg mich, um diese Person, die mir Angst machte, von außen betrachten zu können. Leseprobe
Kein glücklicher Start: Hochzeit ohne die Tochter
Der Vater, den sie mit 15 Jahren erst wirklich kennenlernte, war ein eher glückloser Journalist, der den Zenit seiner Karriere schon lange überschritten hatte. Er hatte einen schweren Unfall und seine Ehefrau nahm sich das Leben. Ausgerechnet in das Haus zu ziehen, in dem er mit seiner ersten Frau gelebt hatte, hielt Andreas Mutter tragischerweise für eine gute Idee. Das Kind beobachtete, dass die Mutter immer noch vernarrt war in diesen Mann, ihre große Liebe, auf die sie so lange gewartet hatte. Für das Mädchen gab es keinen glücklichen Start in das Zusammenleben als Familie. Zur Hochzeit sollte er sie bei Verwandten abholen. Das Kind hatte heftige Bauchschmerzen vor lauter Aufregung und weil ihn das Gejammer störte, ließ er sie einfach dort:
Die Hochzeit war ohne mich gefeiert worden. Einen Tag darauf stand meine Mutter vor Doris' Haus, um mich abzuholen. Sie weinte unaufhörlich, nahm mich fest in den Arm, küsste mich und bat mich, ihr zu verzeihen, dass sie sich nicht gegen meinen Vater hatte durchsetzen können. Leseprobe
Das Martyrium nimmt seinen Lauf
Nach dieser Hochzeit begann das Martyrium für Andrea. Ihre Mutter, die angenommen hatte, dass ihr Ehemann nun für sie sorgen könnte, musste die Familie ernähren, denn er war nicht nur arbeitslos, sondern auch arbeitsunfähig und verschuldet. Sie übernahm Nachtschichten im Krankenhaus. Tagsüber musste sich ihre Tochter um den in erschreckendem Tempo dement und aggressiv werdenden Vater kümmern - mit allem, was dazu gehörte. Sie musste auch dafür sorgen, dass ihre Mutter schlafen konnte, um sich für die Arbeit auszuruhen.
Kinder sind vielleicht belastbarer als man manchmal meint, aber dies ging weit über das Maß des Erträglichen hinaus. Kraft bezog das Mädchen aus den ersten Jahren ihrer Kindheit, ihrer großen Fantasie und letztlich der Liebe ihrer Mutter. Und weil wir Menschen offenbar so gestrickt sind, suchte sie mit dem Seelenmikroskop nach winzigen Beweisen dafür, dass ihr Vater sie, auf seine Weise, auch geliebt haben könnte. Aus diesem Schicksal hat Andrea Sawatzki einen schnörkellosen, eindrucksvollen literarischen Text gemacht.
Brunnenstraße
- Seitenzahl:
- 176 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Piper
- Veröffentlichungsdatum:
- 24. Februar
- Bestellnummer:
- 978-3-492-07053-9
- Preis:
- 20,00 €