Ottilie W. Roederstein: Bildband über die Malerin
Als freischaffende Porträtmalerin gehörte Ottilie W. Roederstein im deutschsprachigen Raum zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit und behauptete sich im männlich dominierten Kunstbetrieb.
Ihre Gemälde wurden in Ausstellungen in Deutschland, Frankreich, England, den USA sowie der Schweiz gezeigt. Heute ist die Malerin trotz ihres einstigen Ansehens nahezu unbekannt.
Seitlich schaut die junge Frau über ihre Schulter. Entschlossen. Einen schwarzen, schweren Samtmantel trägt sie, auf dem Kopf eine feuerrote Baskenmütze, deren Schatten das halbe Gesicht versteckt. Einige blonde Locken haben sich aus der zurückgesteckten Frisur befreit. Jedes feine Härchen ist zu erkennen. In einem Auge bricht sich das Licht. Ein Funkeln in der grünen Iris.
Roedersteins Selbstporträts vermitteln einen starken Willen
Was für ein Blick, mit dem sie uns fixiert, uns packt. Diese Frau - 1894 gemalt - weiß, was sie will, da besteht kein Zweifel. Ein Eindruck, den die vielen Selbstporträts der Schweizer Malerin Ottilie Wilhelmine Roederstein vermitteln. Die ernste Mimik bleibt zeitlebens gleich, nur die Pose variiert: mal siegessicher die Pinsel zeigend, mal romantisch-zart mit Strohhut und Rüschen-Kragen, später immer häufiger: maskulin, im Anzug, den glimmenden Zigarillo zwischen den Fingern. Ihr gelingt mit ihren Selbstdarstellungen etwas Verblüffendes: Selbstbewusst, aber nicht eitel wirkt sie. Sie beginnt ein Gespräch mit sich - und mit uns.
Durchsetzen muss sich Ottilie Roederstein von Anfang an. Geboren 1859 als Tochter einer gutbürgerlichen Kaufmannsfamilie, hätte sie überhaupt keinen Beruf ergreifen sollen, geschweige denn einen künstlerischen.
Frauen bleiben die Kunst-Akademien verwehrt
Mit 17 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung. Kunst-Akademien nehmen zu dieser Zeit allerdings noch keine Frauen auf, ihr bleibt nur der Weg über private Lehrer und Schulen - in Zürich, Berlin und Paris. Insbesondere Akte sind Männersache. Mehr als fragwürdig behandelt man sie beim Akt-Unterricht in Frankreich. Roederstein erinnert sich - so heißt es dazu im Buch:
"Es sei nur in Ausnahmefällen vorgekommen, dass die Männer sie mit faulem Obst beworfen hätten." Leseprobe
Eine junge Frau steht in einem schummerigen Raum, nackt, mit dem Rücken zur Betrachterin. Sie beugt sich über eine große, grüne Waschschüssel auf der Sitzfläche eines Stuhls, benetzt ihre Hände. Die braunen Haare sind zu einem Dutt zusammengebunden. Ihre Haut leuchtet in mattem Zartrosa. Anmutig sieht sie aus, vertieft in ihr Alltagsritual. Traurig auch. Der Titel: "Das Mädchen bei der Toilette".
Dass Ottilie Roederstein ihr Handwerk beherrscht, ist offensichtlich. Elegant geht sie um mit Perspektive und Anatomie, Licht und Schatten, Stimmungen und Spannungen. Teilweise erinnern ihre Bilder an die Malerei der Renaissance, teilweise an französischen Impressionismus.
Stilwende zwischen den Weltkriegen
Zwischen den Weltkriegen wendet sich die 70-jährige Roederstein dann der Neuen Sachlichkeit zu. So porträtiert sie glorifizierend, aber auch ironisch-überzeichnet Hermann Jughenn, ihren Freund und Biografen, als Mann in denkbar unpraktischem, knallgelbem Jackett und Hut - "Der Kletterer" vor schneebedecktem Gebirge. Wagemutig schaut er in die Ferne. In der Hand hält er einen Felshammer, sein Abenteuer-Utensil.
Auch privat lässt sich Ottilie Roederstein nicht einengen. Entgegen allen Konventionen lebt sie 50 Jahre lang zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth Winterhalter, der ersten deutschen Chirurgin. Beide setzen sich für das Frauenwahlrecht und für bessere Bildungschancen von Mädchen ein. "Hans", wie Ottilie Roederstein ihre Partnerin schelmisch nennt, malt sie gern und häufig: zum Beispiel am Schreibtisch, im Regal dahinter ein Totenkopf, sie blickt auf von ihren Notizen, lässig und wissend.
Starke Bilder einer außergewöhnlichen Frau. Eine, die nicht aufgehört hat, hinzuschauen.
Ottilie W. Roederstein
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Hrsg. Zürcher Kunstgesellschaft / Kunsthaus Zürich, Sandra Gianfreda / Städel Museum, Frankfurt am Main, Alexander Eiling und Eva-Maria Höllerer, Text(e) von Alexander Eiling, Sandra Gianfreda, Eva-Maria Höllerer, Barbara Rök, Iris Schmeisser. 243 Abb., Hardcover, 21,50 x 28,00 cm
- Verlag:
- Hatje Cantz
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-4794-3
- Preis:
- 44,00 €