Wiedereröffnung von Notre-Dame: Wie klingt die restaurierte Orgel?
Am Wochenende blickt die Welt nach Paris, wenn die Kathedrale Notre-Dame fünf Jahre nach dem Brand wiedereröffnet wird. Auch die Orgel erstrahlt im neuen Glanz. Ein Gespräch mit dem Organisten Olivier Latry.
Die Bilder vor fünf Jahren waren fürchterlich, als die Kathedrale Notre-Dame gebrannt hat. Es ist erstaunlich, dass der Orgel bei dem Brand so gut wie nichts passiert ist. Wegen der Bauarbeiten war sie abgedeckt und hat nicht mal Löschwasser abbekommen. Für Olivier Latry, einen der Titularorganisten von Notre-Dame, ist das wie ein Wunder.
Herr Latry, die Orgel wurde im 19. Jahrhundert von Aristide Cavaillé-Coll gebaut. Was ist das für eine Orgel, was hat die für einen Charakter?
Olivier Latry: Das war nicht nur Cavaillé-Coll. Wir dürfen zum Beispiel nicht Valéran de Héman im 17. Jahrhundert vergessen und besonders Pierre Thierry 1733 und François-Henri Clicquot 1788.
Sie ist also immer wieder erweitert worden?
Latry: Genau. Und Cavaillé-Coll hat alles von den Vorgängern konserviert.
Heißt das, es gibt unterschiedlich alte Bereiche der Orgel, die auch unterschiedlich klingen?
Latry: Ja. Die Orgel in Notre-Dame ist ein bisschen wie die Geschichte der Orgeln in Frankreich über die Jahrhunderte.
Das ist ja Ihre Heimatorgel als Titularorganist. Sie spielen auf der ganzen Welt, aber Sie konnten fünf Jahre lang nicht an dieses eine Instrument. Hat Ihnen das deutlich gefehlt in Ihrem Spiel?
Latry: Ja, klar. Aber ich habe die Kathedrale schon ohne Orgel erlebt: Zweimal wurde die Orgel restauriert: zwischen 1990 und 1992 und zwischen 2012 und 2014. Die Orgel war jeweils drei Jahre lang nicht spielbar. Dieses Mal waren es fünf Jahre - das ist nicht so dramatisch. Es wäre natürlich etwas anderes, wenn die Orgel zerstört worden wäre. Aber wir mussten nur ein bisschen warten, das geht.
Die Orgel ist komplett rausgebaut, gereinigt und wieder rekonstruiert worden. Klingt sie anders als vorher?
Latry: Nein, sie klingt wirklich wie vorher. Nur die Akustik ist ein bisschen anders. Wir haben jetzt sieben Sekunden Nachhall - wie vorher -, aber der Nachhall klingt ein bisschen anders. Der Klang geht jetzt durch die Kathedrale bis zu dem Chor.
Bei der Eröffnung wird die Orgel durch den Erzbischof direkt angesprochen. Können Sie uns von diesem Ritual erzählen?
Latry: Das ist normal für eine Einweihung einer Orgel in einer Kirche. Das habe ich nach jeder Restaurierung in Notre-Dame gemacht. Das ist unglaublich emotional. Der Erzbischof wird einige Worte sagen, zum Beispiel: "Orgel, heiliges Instrument, wache auf und singe das Gloria." Und dann müssen wir für eineinhalb Minuten improvisieren.
Sie haben gesagt, dass Notre-Dame für Sie eine ganz besondere spirituelle Erfahrung sei, man käme verändert aus der Kathedrale wieder heraus. Können Sie das genauer beschreiben?
Latry: Ich war sehr oft in der Kathedrale - nicht nur bei den Messen, sondern auch bei Konzerten und Proben, nachts, morgens, während des Tages. Und jedes Mal habe ich das Gefühl gehabt, dass die Energie von der Kathedrale durch den Körper geht. Wenn ich zum Beispiel nach einem anstrengenden Tag ein bisschen müde bin, gehe ich in die Kathedrale und stellte fest, wie diese Energie durch meinen Körper geht. Ich bin anschließend wieder gestärkt und kann fünf weitere Stunden arbeiten - das ist kein Problem.
Es ist in Frankreich viel diskutiert worden über die Art der Restaurierung. Es ist keine reine Wiederherstellung, sondern zum Teil auch eine neue Interpretation. Wie gefällt ihnen der Innenraum von Notre-Dame?
Latry: Das ist unglaublich schön geworden. Die Kathedrale ist jetzt "blond". Die Farben sind unglaublich. In der Kapelle war zum Beispiel alles schwarz, und da sind jetzt so viele Farben. Es ist sehr einladend.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.