Wie sich rechtes Denken und Künstliche Intelligenz verbinden
Was bedeutet rechtes Denken im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz? Sind die KI der Zukunft am Ende gar autoritäre Androide? Dieser Frage geht die Journalistin Hannah Lühmann in ihrem Essay nach.
Wenn man ChatGPT fragt, welcher der amerikanischen Präsidenten sein Lieblingspräsident sei, antwortet es in seiner mittlerweile schon fast legendär nervigen Überkorrektheit: "In politischen Fragen verhalte ich mich neutral." Eine Behauptung, die dazu einlädt, sie widerlegen zu wollen - daran jedenfalls machte sich kürzlich der neuseeländische Datenanalyst David Rozado. Er unterzog ChatGPT einigen standardisierten Tests, mit deren Hilfe sich die politische Orientierung eines Menschen einordnen lässt - und kam zu einem scheinbar wenig überraschenden Ergebnis: Der vermeintlich neutrale Chatbot spiegelt in vielem die Ansichten der linksliberalen Silicon-Valley-Elite.
Das liegt wohl einerseits am Datenmaterial, mit dem ChatGPT während seiner Entstehung "gefüttert" wurde - salopp gesagt bekanntlich "mit dem ganzen Internet". In diesem scheint die wortführende, stark publizierende Mehrheit eine linksliberale Tendenz aufzuweisen. Zum Teil ist der Effekt aber auch durch Bearbeitung entstanden, weil seine Erschaffer beispielsweise extreme politische Positionen nachträglich herausgefiltert haben.
Eine Welt, in der "Wahrheit" keine Bedeutung mehr hat
Das Ergebnis sorgte für einige Aufregung. Die Existenz von Chatbots, so hieß es in der "New York Times", eröffne eine neue Front in den "culture wars" - jener Konfrontation von der Rechten eifrig heraufbeschworener, sich vielleicht auch tatsächlich immer stärker herausbildender verfeindeter kultureller Lager, an der es um Fragen von Weltanschauung und Lebensstil geht: Fleischkonsum und Genderrollen, Klimapolitik und Abtreibung, Transrechte und Mobilität. Der erwähnte Datenanalyst Rozado entwickelte dann auch gleich noch eine "Right Wing GPT", die auf die Frage nach dem Lieblingspräsidenten mit "Donald Trump" antwortet.
Das gefürchtete Szenario ist klar: eine Welt der hyperradikalisierten Bubbles, in der jeder in seinem eigenen Alternativ-Universum unterwegs ist, eine Welt, in der "Wahrheit" keine Bedeutung mehr hat, in der "rechte" und "linke" künstliche Intelligenzen Realitäten bauen, Fakten schaffen. Dieser Prozess wiederum folgt einem altbekannten Schema: Rechte und Konservative fühlen sich von einer - vermeintlichen? - Matrix linksliberaler Positionen bedroht. Aus der Position des Underdogs, die immer eine gewisse popkulturelle Stärke hat, entwickeln sie ein Kontra-Narrativ: wenn "die da oben" - in dem Fall die im Silicon Valley - es nicht sagen, dann müssen sie eben ihre eigenen Wahrheitsmaschinen erfinden.
"Neoreaktion" als Feind westlicher Demokratien
Was, wenn die Sorge vor den Alternativwelten zwar gerechtfertigt ist, wenn sie uns aber von einem Problem ablenkt, das vielleicht ungleich größer ist? Es gibt einen Umstand, der noch nicht besonders häufig beschrieben worden ist: Diejenigen, die an dem arbeiten, was man als die technologische Infrastruktur unserer sehr nahen Zukunft beschreiben könnte, sind häufig gar nicht mehr unbedingt linksliberal. Damit ist nicht ChatGPT-Erfinder Sam Altman gemeint, der glaubt, das von ihm erfundene System habe das Potenzial, den Kapitalismus zu "brechen" - und der sich bekanntlich auf seinem Stück Land südlich von San Francisco auf den nuklearen Fallout vorbereitet.
Gemeint ist vielmehr eine generelle Verschiebung einst libertären Gedankenguts in Richtung einer radikal neuen Form von Autoritarismus. Der Tech-Milliardär und Pay-Pal-Gründer Peter Thiel machte 2009 den Auftakt, als er im Rahmen einer Diskussion zwischen libertären Denkern sagte, er habe aufgehört zu glauben, "dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar" seien. Um Thiel formiert sich mittlerweile ein loses Netzwerk, eine Art neoreaktionäre Tech-Intellingenzija, die ihren stärksten philosophischen Ausdruck in den Veröffentlichungen des Bloggers und Tech-Entrepreneurs Curtis Yarvin sowie seines in Shanghai residierenden Theorie-Buddys Nick Land findet.
Im Silicon Valley grassiert eine Ideologie, die sich als "Neoreaktion" bezeichnet und die in ihrer extremen Ausprägung das Ziel hat, westliche Demokratien von innen heraus zu zerschlagen, um sie mittelfristig durch CEO-geführte Unternehmen nach dem Vorbild von autoritär regierten Stadtstaaten wie Singapur zu ersetzen. Dabei soll ein Maximum individueller Freiheit mit einer radikalen Abwesenheit politischer Freiheit kombiniert werden. So gelingt die Synthese aus klassischem libertärem Denken und neuerstarktem globalem Autoritarismus.
Ein Remix faschistischer Strömungen
Was abgefahren klingt, ist in vielem ein Remix traditionell rechter Ideen, die ihren Weg aus dem (prä)faschistischen Europa der 20er- und frühen 30er-Jahre ins Silicon Valley und somit ins avantgardistische Herz unserer krisengebeutelten Wirklichkeit gefunden hat: Von Carl Schmitt inspiriertes Notstands-Denken paart sich mit spirituell-futuristischem "Superfaschismus", wie ihn der italienische Dandy-Faschist Julius Evola für sich in Anspruch nahm.
In manchen Kreisen der US-amerikanischen Gegenwart sorgt es nicht mehr für Verwunderung, wenn man die Ansicht äußert, die Menschheit lebe im Zeitalter des "Kali-Yuga", dem - nach hinduistischer Lehre - "Zeitalter der Dunkelheit", das von Degeneration und Niedergang geprägt ist und das in einer eschatologischen Katastrophe münden wird. Diese von europäischen Traditionalisten wie Julius Evola und Rene Guenon vertretenen Lehren teilt etwa der neofaschistische Ex-Trump-Berater Steve Bannon, sie dürften aber auch von einer breiteren, nach außen hin weniger offensichtlich radikalen Gruppe von Menschen geteilt werden.
Die neue rechte Avantgarde
Es wird regelmäßig vor dem offensichtlichen Erstarken internationaler autoritärer Kräfte gewarnt, aber in der immer noch hilflosen Bestürzung über Trump-Anhänger und europäischen Postfaschismus wird manchmal immer noch übersehen, wie radikal zukunftsfähig rechtes Denken ist. Diejenigen, die den globalen Backlash befeuern, sind eben nicht ein paar rückwärtsgewandte "Beklagenswerte", deren politische Fantasie nicht weiter als bis in die nächste Pizzeria reicht. Es gibt eine neue rechte internationale Avantgarde, und ihre Protagonisten wirken an der Entwicklung von KI-Technologien mit - Thiel beispielsweise hat Open AI mitfinanziert und mit seiner Firma Palantir schon vor vielen Jahren begonnen, eine eigene KI-basierte Überwachungstechnologie zu entwickeln, die in den USA und manchen europäischen Ländern bereits angewendet wird.
Man muss diese Art des Denkens "rechts" nennen, um es zur Kenntlichkeit zu entstellen. Von der alten europäischen Rechten nämlich hat dieses neue internationale rechte Denken die radikale Kritik am Projekt der Moderne, den teils menschenverachtenden Elitismus, die explizite Aufklärungsfeindlichkeit sowie die popkulturell neu aufgelegte Fetischisierung "traditioneller" Geschlechterrollen, wie man sie anhand des Phänomens der "Trad Wives" beobachten kann: neurechte Influencerinnen, die scheinbar harmlosen Hausfrauen-Content teilen und so eine neue, scheinbar "traditionelle" Ästhetik verbreiten.
Das Selbstverständnis der Rechten
Wer aber glaubt, dass sich das neue alte Rechte in einem diffusen "Zurück" erschöpft, das die Rechten im Zweifelsfall selbst gedanklich nicht ganz durchsteigen, geht einem rechten Narrativ auf den Leim: Rechte Denker behaupten seit jeher, sie seien die Hüter eines radikal realistischen, per se anti-utopischen Denkens. Sie stünden für das Konkrete, für das Begrenzende im Vergleich zum Entgrenzenden, Abstrahierenden der Progressiven. Dieses Selbstverständnis scheint schwer vereinbar mit dem Projekt der Künstlichen Intelligenz, das in seiner krassesten Konsequenz ja den Transhumanismus vertritt: die totale Aufhebung aller Begrenzung in der Verschmelzung der Menschen mit der Maschine. Interessanterweise ist "Transhumanismus" auch ein Kampfbegriff der Rechten, die unterstellt, globale Eliten wollten mithilfe von Genderideologien den Menschen abschaffen. Mittlerweile gibt es aber rechte Silicon-Valley-Transhumanisten, die offen mit Projekten der Eugenik liebäugeln.
Und in Wirklichkeit ist die politische Disruption im Denken der extremen Rechten immer schon mit angelegt: sei es der Anti-Parlamentarismus und Dezisionismus eines Carl Schmitt oder die subversive Koketterie der Neurechten des späteren 20. und des 21. Jahrhunderts mit den Protestmethoden der Linken: Der Rechte muss, um sein eigenes Weltbild zu rechtfertigen, annehmen, dass er in einer Zeit der Krise und des Niedergangs lebt. Diese zu überwinden, müssen alle Mittel recht sein. Der spirituelle Aspekt Künstlicher Intelligenz fügt sich auf nahezu ideale Weise zusammen mit Fantasien von einem neuen goldenen Zeitalter, das eintreten wird, wenn man den Menschen erst einmal ihre naiven Fantasien von politischer Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenrechten ausgetrieben hat.
Es könnte ein großer Fehler sein, die technologische Revolution, deren erste zarte Manifestationen wir gerade erleben, für links zu halten.