Virtuose Zungenbrecher: Wortakrobat Bodo Wartke im Gespräch
Bodo Wartke, Träger des "Deutschen Sprachpreises", beschäftigt sich seit einiger Zeit mit deutschen Zungenbrechern. Seine Kreationen haben sich zum viralen Phänomen entwickelt. Ein Gespräch.
Deine "Zungenbrecher 4.0" sind ein Riesenhit im Netz. Hättest Du damit gerechnet, als Du damit vor ein paar Wochen online gegangen bist?
Bodo Wartke: Nein, überhaupt nicht. Erst recht nicht damit, dass "Der dicke Dachdecker" so durch die Decke gegangen ist. Der trendet sogar in anderen Ländern, den gucken sich auch Leute an, die gar kein Deutsch verstehen, und finden das super.
In welchen Ländern zum Beispiel?
Wartke: Amerika, Russland, Ukraine, Südamerika. Ich merke das immer an der Sprache, mit der mir Nachrichten geschickt werden. Ich bin total frappiert, wie er es erstmal in diese anderen Länder schaffen konnte und dass der selbst da viral geht. In Deutschland zuerst nur innerhalb der Dachdecker-Community, und dann haben auch andere Gewerke gefragt: Kannst Du auch was über einen Elektriker machen? Und dann ging es los in anderen Ländern.
Zungenbrecher sind so etwas, womit schon unsere Großeltern auf dem Schulhof ihren Spaß hatten. Was glaubst du, was reizt auch so eine junge Community an so etwas wie Zungenbrechern?
Wartke: Erstmal ist es, glaube ich, der Klang, dass es auch in den Ohren von Menschen, die kein Deutsch verstehen, cool klingt. So was wie "Der dicke Dachdecker deckt das Dach" rhythmisiert die Sprache, bringt die Sprache zum Klingen und sorgt dafür, dass sie cool klingt. Leute schreiben mir ganz erstaunt: "Ich wusste gar nicht, dass Deutsch so cool klingt. Auf einmal habe ich Bock, das zu lernen." Und bei den Jugendlichen ist auch so ein Challenge-Gedanke dabei: Wir versuchen erstmal, das nachzusprechen und uns dann auch darin zu übertreffen, wer das schneller kann. Oder wir filmen uns an unterschiedlichen Orten, wie wir das nachsprechen. Leute haben mir Videos geschickt, wie sie unter Wasser sind, oder jemand übersetzt es in Gebärdensprache. Es entfesselt wirklich eine totale Kreativität. Man sagt ja immer, dass TikTok voll das passive Konsummedium sei, aber das stimmt nicht. Die Leute machen sich das sehr zu eigen und haben ganz tolle eigene Ideen.
Am Ende sind es ja die gleichen Skills, die auch gute Rapper haben müssen, oder?
Wartke: Letztendlich ja, also schnell und deutlich zu sprechen. Das ist ja auch die Herausforderung und das macht ja auch Spaß, das zu üben und zu merken, dass man darin besser wird - das ist bei mir nicht anders. Ich fand die Zungenbrecher am Anfang auch alle schwierig und finde es immer noch.
Für dich ist das auch eine Herausforderung, damit live auf die Bühne zu gehen. Es besteht auch gewisses Risiko, dass man zwischendurch rausfliegt, oder?
Wartke: Genau. Aber das ist ja auch spannend, dass man auch mitfiebert. Wenn man sich vor Publikum aufs Glatteis begibt, ist das immer spannend.
Wie wichtig ist dir dabei der Klang, unabhängig vom Inhalt?
Wartke: Der ist letztendlich das A und O. Ich bewege mich ja mit allem, was ich mache, nicht nur bei den Zungenbrechern, sondern auch bei den ganzen Liedern, die ich schreibe, auf der Grenze zwischen Musik und Klang. Ich habe mich immer schon gefragt: Wie kann ich die Sprache musikalisieren? Einerseits natürlich durch Reime, aber auch durch Melodien. Wenn ein Text so daherkommt, ist er ganz anders memorierbar, als wenn er einfach nur gelesen oder nicht in Reimform als Prosatext dargeboten wird. Wobei selbst da musikalische Skills zum Tragen kommen: Gute Redner können immer sehr toll mit Sprache im musikalischen Sinne umgehen. Phrasierung, Modulation, Dynamik, Tempo, Rhythmus - all das sind ja letztendlich musikalische Parameter. Und wenn die angewendet werden, dann macht es auch Spaß.
Du lieferst immer wieder nach: Innerhalb weniger Wochen hast du eine riesige Anzahl von Zungenbrechern rausgehauen. Wie viele sind es inzwischen und wie viele kommen noch?
Wartke: Es sind auf jeden Fall inzwischen über 30, wenn mich nicht alles täuscht. Wir haben aber auch noch einige in petto. Es nimmt auch kein Ende - ich hätte nicht gedacht, wie viele es gibt, wie viele man sich auch selber ausdenken kann und über welche sprachlichen Kuriositäten man stolpert. Ich kannte, als ich damit angefangen habe, vielleicht fünf: "Fischers Fritz", "Blaukraut", "Potsdamer Postkutscher" und so weiter. Dann habe ich recherchiert und bin über ganz tolle Stilblüten gestolpert. Ganz viel stammt von den Leuten, die mir im Netz etwas geschickt haben. Noch ist kein Ende in Sicht. Da ist der Reichtum unserer Sprache anscheinend unerschöpflich.
Das Interview führte Jan Wiedemann.