Vertrauensfrage: Wie passend ist der Begriff "Vertrauen" in der Politik?
Der Bundestag hat Bundeskanzler Olaf Scholz das Vertrauen entzogen. Aber inwiefern kann man von dem Gefühl "Vertrauen" im politischen Zusammenhang sprechen? Ein Gespräch mit der Historikerin Ute Frevert.
Ute Frevert forscht zur neueren und neuesten Geschichte und ist Direktorin des Forschungsbereichs Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Sie hat unter anderem das Buch "Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung" geschrieben.
Frau Frevert, ist der Begriff "Vertrauen" im politischen Zusammenhang Ihrer Meinung nach überhaupt passend?
Ute Frevert: Er wird benutzt, weil er sich in der allgemeinen Welt so unglaublich gut anhört. Aber eigentlich ist das, was in so einer Vertrauensfrage abgefragt wird, nicht unbedingt Vertrauen im Sinne dieses starken moralischen Konzepts, was wir haben, wenn wir einer Person unsere Kinder anvertrauen oder jemandem vertrauen, dass er uns das Geld zurückgibt, was wir ihm geliehen haben. Hier geht es eher um eine technische Verfahrensfrage. Aber man borgt sich gewissermaßen einen Glow, einen Schein dieses schönen deutschen Wortes "Vertrauen".
Es waren heute auch Gefühle spürbar, die nichts mehr mit Glow oder Schein zu tun hatten: Frust, Ärger und Enttäuschung. Welches vorherrschende Gefühl haben Sie heute wahrgenommen?
Frevert: Nicht unbedingt ein sehr viel anderes als das, was auch schon in den Aussprachen bei vorgängigen Vertrauensfragen aufgetaucht ist. Das ist ja immer ein großes Schauspiel, was da dargeboten wird. Da müssen die Einen sich loben und die Anderen ihre Frustration, ihre Enttäuschung, ihren Ärger über die Politik der letzten Jahre zum Ausdruck bringen - und natürlich versprechen, dass sie alles viel besser machen. Aber das ist eher das übliche parlamentarische Prozedere: Der Eine weiß es immer besser als der Andere. So eine richtige, echte Rückschau, eine Analyse - was ist falsch gelaufen, was hätten wir besser machen können, was hätten die anderen besser machen können? - so etwas taucht in einer solchen inszenierten Diskussion nicht unbedingt auf. Insofern würde ich die Gefühle, die dort heute zum Ausdruck gekommen sind, auch nicht auf der Ebene der hohen moralischen Gefühle verorten, sondern eher dort, wo früher schon mal das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Vertrauen gesagt hat, man müsse das parlamentarische Vertrauen deutlich unterscheiden von dem moralischen Vertrauen, was wir in unserem Alltagshandeln hochhalten.
Weniger Gefühle im Bundestag würden also der Politik ganz gut stehen?
Frevert: Ja, vor allen Dingen wenn die Gefühle daherkommen mit einer Vorstellung davon, was das dann bewirkt, wenn man sich derartig aufregt oder dem anderen seine Integrität, seine Ehrlichkeit oder seinen guten Willen abspricht. Dieses ständige Schielen auf Wirkung, das macht Gefühle nicht besonders vertrauenswürdig.
Olaf Scholz hat heute auch an das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger intensiv appelliert und uns alle aufgefordert, wieder in die deutsche Politik zu vertrauen. Wie sieht unser Vertrauen grundsätzlich aus, ist es angeknackst?
Frevert: Wenn man Umfragen glaubt, ist das Vertrauen in wichtige politische Institutionen der Bundesrepublik - in das Parlament, in die Regierung, in den Bundespräsidenten, in die Justiz, in die Polizei, in die Exekutive insgesamt - angeknackst. Auf der anderen Seite ist jede Wahl ein Anlass, einer Partei unser Vertrauen zu schenken und es möglicherweise auch wieder zu entziehen. Das ist immer eine Ungewissheit, die damit verbunden ist, eine Hoffnung, dass die Regierenden das in unserem Sinne tun. Aber unser Sinn ist so vielfältig, wie 60 Millionen Wahlbürgerinnen und Wahlbürger sein können.
Es gab in der Vergangenheit schon Situationen, wo Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt haben: Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder. Wie müssen wir mit dem Blick in die Geschichte die heutige Entwicklung einordnen?
Frevert: Wir haben immer zwei Logiken, die hinter so einer Vertrauensfrage stehen. Die eine Logik haben wir jetzt bei Olaf Scholz erlebt: Da geht es darum, eine nicht mehr funktionsfähige Regierung abzuwählen, und Neuwahlen für eine neue, stabilere Regierung zu schaffen. Es gibt aber auch Vertrauensfragen, die gestellt werden, um die eigenen Mann- und Frauschafften noch einmal hinter sich zu versammeln. Das hat Gerhard Schröder mit den zwei Vertrauensfragen versucht, das haben auch Helmut Schmidt und Willy Brandt gemacht, wo er sagte: Wenn ihr wirklich an der Fortsetzung der Regierung - die immer noch eine stabile Mehrheit hatte, aber durch innere Kritik etwas poröser wurde - interessiert seid, dann müsst ihr jetzt für mich stimmen. Die wollten diese Vertrauensfrage gewinnen. Das haben sie nicht immer, aber oft eben doch. In dem heutigen Fall wollte die Regierung gar nicht gewinnen, sondern sie wollte in einer Regierungskrise den Weg für eine stabilere Regierung frei machen.
Das Gespräch führte Julia Westlake.