Tanzstil Breakdance: Kunstform oder Sport?
Manche sprechen beim Tanzstil "Breakdance" von einer "Symbiose von Feuer und Wasser". Das sogenannte Breaking gilt als Kern der subversiven Hip-Hop-Kultur, die vor 50 Jahren in der Bronx in New York entstanden ist.
Ein Gespräch mit Falk Schacht, Hip-Hop-Musiker, Musikjournalist und Moderator.
Du kennst Dich mit Breakdance bestens aus. Wie bist du eigentlich zur Hip-Hop-Kultur gekommen? Du hast ganz früh damit angefangen, oder?
Falk Schacht: Das ist richtig. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Jazz, Soul und Funk Standard waren. Anfang der 80er-Jahre bin ich automatisch auch mit Breakdance und der Hip-Hop-Kultur in Kontakt gekommen und nie wieder losgekommen.
Nach welchen Regeln funktioniert überhaupt Breakdance? Und was ist eigentlich gutes Breaking?
Schacht: Man tanzt im Ursprung gegeneinander und es geht darum, besser zu sein. Es ist auf eine gewisse Art und Weise ein Wettbewerbstanz. Natürlich kann man das auch alleine, aber es macht am meisten Spaß, sich zu messen. Das fand in den 70ern auf Partys statt und irgendwann wurden die Veranstaltungen etwas größer. Nach 1986 gab es mal ein Loch, da ist es ziemlich abgeebbt, weltweit. In Deutschland hat diese Breakdance-Kultur überlebt und dann wurde das nach Amerika re-importiert, weil die amerikanischen Breaker gesehen haben, dass das wie in einer Zeitkapsel überlebt hat - und sie wollten aufholen. Dann wurde eine der ersten Breakdance-Weltmeisterschaften Anfang der 90er-Jahre in Hannover gegründet. Das sind auch Strukturen, die dahinter stecken, dass Breakdance jetzt nach Olympia geht. Das ist Thomas Hergenröther, der Gründer des Battle of the Year, und Storm, auch ein deutscher Breaker aus Kiel. Der hat das Judging-System mitentwickelt, das wir jetzt haben.
Bei den Olympischen Sommerspielen im nächsten Jahr in Paris wird Breakdance zur olympischen Disziplin. Das zeigt die Wertschätzung des Sports. Aber einige fürchten nun das Ende dieser Kunstform. Ist denn Breakdance überhaupt ein Sport, der sich von Juroren in Punkten messen lässt?
Schacht: Das ist eine philosophische Frage. Es ist eine Körperbewegung, und wenn man die aus Spaß macht, dann ist es kein Sport. Wenn man die organisiert und in Strukturen ausübt, dann kann man die Frage stellen: Ist das jetzt Sport oder ist das Kunst? Ich würde sagen, es ist am Ende des Tages beides und dass es in beiden Bereichen stattfinden soll. Ich finde beides vollkommen legitim.
Um Medaillen werden nur je 16 Männer und Frauen kämpfen. Der Auswahlprozess gilt als extrem hart. Die Konkurrenz aus USA, Frankreich, Japan oder Korea ist den deutschen Breakern um einiges voraus, sagen viele. Haben die Deutschen überhaupt eine Chance?
Schacht: Bronze ist nicht unrealistisch - das ist die Selbsteinschätzung einer Reihe von Breakern, mit denen ich darüber gesprochen habe. Der Wettbewerb ist sehr groß, die Asiaten haben in den letzten 20 Jahren extrem aufgeholt. Das liegt aber auch daran, dass zum Beispiel in Korea Kultur anders gefördert wird als bei uns. Dass es so wenige sind, wird durchaus als schwierig gesehen, aber man findet es gut, dass es überhaupt jetzt losgeht. Das kann sich ja noch entwickeln. Schauen wir mal, wo wir in zehn Jahren sind.
Breakdance ist ja eine Kunstform, hinter der weitaus mehr steckt als Akrobatik. Es ist im Grunde ein Lebensgefühl, eine Haltung, richtig?
Schacht: Definitiv. Es ist Teil der Hip-Hop-Kultur. Es ist eine Art zu leben: Sprache, Malerei, Musik, Tanz, bildende Kunst - das ist da alles mit dabei. Es erschließt sich aber vielleicht nicht jedem, wenn man sich damit nicht auseinandersetzt.
Thomas Hergenröther hat das "Battle of the Year" gegründet, das zuerst im Freizeitheim Döhren in Hannover stattfand. Wie passt Breakdance mit seiner kulturellen Tradition überhaupt zu dem organisierten deutschen Vereinswesen?
Schacht: Das ist tatsächlich eine sehr wichtige Grundlage gewesen. Die Jugendzentren der 90er-Jahre sind die Spielfläche für Hip-Hop, weil Hip-Hop und viele Jugendliche an anderen Stellen keine Spielflächen hatten. Dementsprechend hat das dort stattgefunden. Diese ganze Kultur ist im Grunde in Zügen durch Deutschland von einem Jugendzentrum zum nächsten gereist und dadurch gewachsen. Deswegen passt das sehr gut - auch wenn es hier und da sicherlich mal den einen oder anderen Sozialarbeiter gab, der entsetzt war, was diese Jugendlichen mal wieder machen.
Thomas Hergenröther hatte offenbar auch großen Anteil daran, dass Breakdance jetzt olympisch wird. Inwiefern?
Schacht: Er ist eine sehr wichtige Person; er hat im Grunde die erste offizielle Breakdance-Weltmeisterschaft neu gegründet. Das war Anfang der 90er-Jahre. Da war Breakdance weitestgehend tot, es war out. Er hat durch diese Veranstaltung einen Leuchtturm gesetzt und europaweit die Breakdancer eingesammelt. Da sind teilweise 5.000 Menschen per Zug durch Europa gefahren, um ihre "Familie" wiederzutreffen. Diese "Familie" ist immer gewachsen. Jetzt sind es pro Veranstaltung 15.000 bis 20.000 Personen, die sich das angucken. Es gibt inzwischen sehr viele andere Breakdance-Veranstaltungen, und deswegen ist er eine wichtige Figur, ein wichtiger Ansprechpartner.
In der deutschen Community gilt Hannover als Zentrum des Breakdance - warum?
Schacht: Das hängt tatsächlich mit Thomas zusammen. Viele berühmte Tänzer aus Hannover gibt es eigentlich nicht. Aber weil es diese Struktur gegeben hat, weil die halbe Breakdance-Gemeinschaft durch diese Stadt durchreisen musste - auch als die Veranstaltung mal in Braunschweig oder in Celle war. Das ist da hängengeblieben. Im Grunde ist Thomas Hergenröther ein Kulturbotschafter für die Stadt Hannover.
Manche verurteilen es, dass weiße Künstlerinnen und Künstler Breakdance machen, weil sie die Kultur der Afroamerikaner nachahmen. Was entgegnest Du darauf?
Schacht: Der Punkt ist: Was ist die Alternative? Soll man aufhören zu breaken? Wo findet dann Breakdance statt? Kann Breakdance dann leben? Ich sehe das anders. Kulturelle Aneignung ist ein Problem. Kulturelle Aneignung bedeutet: Man muss sich darüber bewusst sein, woher das kommt, womit man sich auseinandersetzt. Und man muss etwas zurückgeben, nämlich kulturelle Verehrung. Das ist für mich das Gegenstück davon. Das heißt, ich informiere mich, ich kenne die Geschichte, ich bin demütig und bin mir darüber bewusst, dass ich Gast im Hause bin. Ich bin ein Schüler der Hip-Hop-Kultur, gebe aber auch zurück - ich nehme nicht nur. Das ist kein Wegnehmen, sondern ein Geben und Nehmen.
Das Interview führte Philipp Cavert.