"Super Tuesday" in den USA: "Infantiles Verlangen unter den Wählern"
Die Schriftstellerin Irene Dische lebt größtenteils in den USA. Anlässlich des heutigen "Super Tuesday" spricht sie mit NDR Kultur über das politische Klima in Amerika, das ihr "futrchtbare Angst" bereitet.
Schriftstellerin Irene Dische ist eine Frau mit mehreren "Identitäten": 1952 in New York geboren, Tochter einer Deutschen und eines Österreichers, jüdisch-katholisch, besitzt die amerikanische und die österreichische Staatsbürgerschaft und pendelt seit Jahrzehnten zwischen Rhinefeldt bei New York und Berlin hin und her.
Aktuell arbeitet sie an einer Übersetzung eines Essays von Karlheinz Bohrer aus dem Jahr 2002 ins Englische und steigt im Gespräch mit NDR Kultur gleich ein mit Bohrers Überlegungen zu den damaligen Hitler-Wählern: "Die haben Hitler nicht gewählt, weil sie Krieg haben oder die Juden umbringen wollten. Der hat so kindische Versprechungen gemacht, es war so verheißungsvoll, er hat eine Idylle versprochen, dass alles gut wird. Das hat so ein infantiles Verlangen unter den Wählern geweckt. Und der Anspruch von Trump ist auch so. Er kann nichts Falsches machen, weil er an das kindliche Verlangen dieser Wähler appelliert. Deswegen sind sie ihm so wild hinterher."
Keine baldige Annäherung zwischen Republikanern und Demokraten
Wenn man sich das politische Klima in den USA anschaut, diese viel beschriebene Kluft zwischen Republikanern und Demokraten, diese großen Gegensätze zwischen diesen beiden Parteien, dann ist man schon als deutscher Beobachter oft deprimiert und ratlos. Bei Irene Dische ist die Gefühlslage nachvollziehbarerweise noch extremer. Sie glaubt nicht, dass es bald eine Annäherung zwischen den gegensätzlichen Positionen geben wird: "Absolut nicht, leider. Es ist ausgeschlossen, es ist 'really scary'. Alle Amerikaner, die so denken, haben wirklich furchtbare Angst. Ich kannte diese Angst bisher nicht. Die Leute reden auch untereinander kaum, weil sie so betreten sind."
Dieses kommunikative Problem, dieses "Nicht-mehr-miteinander-Reden-Können" kennt Irene Dische auch aus ihrem Privatleben: "Ich habe jemanden, der bei mir arbeitet - ich habe ja einen Bauernhof - und ich kenne ihn sehr lange, sehr gut und mag ihn sehr gerne. Das ist ein ganz reizender Mann, aber wenn es um Politik geht, dann ist er ein rabiater Trump-Supporter. Er hat nicht an Covid geglaubt und wenn jemand etwas tut, das nicht gut ist, dann sagt er: 'Oh, er ist ein Liberaler.'"
"Joe Biden hat mehr erreicht als Obama"
Brauchen die Demokraten vielleicht einen anderen Präsidentschaftskandidaten? Ist Joe Biden der Falsche? Nein, findet Irene Dische: "Die müssen es nur klar machen, dass Biden sehr gute Dinge gemacht hat. Der hat mehr erreicht als Obama. Der Wirtschaft geht es jetzt zum Beispiel viel besser als unter Trump. Er hat das Problem, dass er alt ist, er redet schlecht - er hat immer schon schlecht geredet - und man findet ihn peinlich. Er muss einen neuen Vize-Präsidenten an seiner Seite haben, der jung und dynamisch ist." Die bisherige Vize-Präsidentin Kamala Harris sei das genaue Gegenteil davon, meint Dische.
Disches Lösungsansatz: Nachrichtensender wechseln
Und wie ließe sich aus dem großen geistigen Abgrund herauskommen? In Deutschland gibt es ja gerade unter Intellektuellen, unter Literaten eine große Tradition des Sich-Einmischens in die Politik. Das gibt es in Amerika so überhaupt nicht, sagt Irene Dische. Niemanden interessiere die Meinung von Autoren. Einen wesentlich größeren Einfluss hätten die Nachrichtensender, vor allem die beiden großen: Fox News für die konservative, MSNBC für die liberale Berichterstattung. Um das verhärtete Weltbild aufzuweichen, müssten die Zuschauer eigentlich den Sender wechseln, sagt Dische. Das sei die einzige Hoffnung auf eine Annäherung: "Die haben mal ein Experiment gemacht. Die haben 20 Leute bezahlt, die immer Fox News gucken, damit sie zwei Wochen lang MSNBC gucken. Und nach zwei Wochen hatten die ihre Meinung komplett geändert."