Pöbeleien und Buh-Rufe: Theaterpublikum im Wandel der Zeit
Wie reagiert das Theaterpublikum, wenn das, was auf der Bühne stattfindet, nicht gefällt? Ein Gespräch mit Steffen Höhne, Professor für Kulturmanagement am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena.
Herr Höhne, kann man eigentlich von "dem Theaterpublikum" sprechen? Wenn ja, wer gehört dazu und wer nicht?
Steffen Höhne: Von "dem Theaterpublikum" kann man insofern sprechen, wenn wir von den öffentlich geförderten Theatern ausgehen, als es sich um ein Publikum handelt, das man zu soziodemografisch sehr wohl zusammenfassen kann: ein in der Regel älteres, stärker weibliches Publikum. Man hat früher das Konzept des Bildungsbürgerlichen dafür verwendet.
Machen wir mal eine Milieustudie: Gut situierte Menschen, Bildungsbürger, Bildungsbürgerinnen, die sind anständig, ruhig und gesittet - stimmt das?
Höhne: Ja, in der Regel schon. Das ist ein langer Prozess, den wir beobachten können. Wir müssten da mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurückblicken, in die Reformdebatten um das Theater, die nicht zu einer Professionalisierung der Bühne geführt haben, sondern letztendlich auch zu einer Stillstellung des Publikums. Seitdem ist keine Kommunikation zwischen Bühne und Publikum mehr erlaubt und keine Kommunikation mehr während der Aufführung.
Heute heißt es: Der Ton im Publikum sei rauer geworden, die Leute lassen ihren Ärger direkt raus, noch im Saal oder dann im Foyer. Das haben uns zum Beispiel Mitarbeitende am Schauspiel Hannover erzählt. Auch bei den Bayreuther Festspielen ging es im vergangenen Jahr wieder hoch her. Nehmen Sie diese Tendenz auch wahr?
Höhne: Ich habe es selber erlebt bei Calixto Bieito-Aufführungen, wo Leute wutentbrannt und Türen-schlagend aus der Inszenierung rausgerannt sind. Das gibt es natürlich schon. Ich habe eher den Eindruck, dass man heute vermehrt mit unterschiedlichen Formaten arbeitet und dass sich das Publikum stärker danach differenziert, welche Formate es besucht.
Können Sie das noch ein bisschen ausführen? Es gab zum Beispiel in der Oper Hamburg, was eigentlich ein konservatives Format ist, Auflockerungen mit Video - und da gab es auch enorme Reaktionen im Publikum.
Höhne: Es gibt beispielsweise Institutionen, die durchaus versuchen, neue Formate zu entwickeln und damit auch dem Publikum entgegenzukommen. Oder nehmen wir so etwas wie den Versuch, klassische Musik in die Clubkultur zu bringen, die sogenannte Yellow Lounge, die auch schon seit vielen Jahren läuft. Das sind alles Beispiele, wo man auf der einen Seite versucht, neues Publikum anzusprechen, auf der anderen Seite aber auch auf bestimmte Bedürfnisse einzugehen. Offenkundig ist dieser still sitzende, kontemplativ versenkte Zuschauer - ein Idealbild der Diskussion der Aufklärung - nicht mehr unbedingt so akzeptiert.
Und wie sieht es bei unseren Nachbarn aus, bei den Briten oder den Franzosen?
Höhne: Bei den Briten haben wir es ohnehin mit einer sehr viel kleineren Struktur zu tun, was die öffentlich geförderten Institutionen angeht. Da spielt der Aspekt der Unterhaltung eine sehr viel stärkere Rolle. Das englische Theater ist ja eine Institution, die sich unmittelbar aus der Unterhaltungskultur heraus entwickelt hat, und ich gehe davon aus, dass diese unterhaltenden Aspekte eine stärkere Rolle spielen.
Es gibt in der Geschichte legendäre Skandal-Aufführungen, bei denen das Publikum regelrecht ausgerastet ist. Ein gutes Beispiel ist Strawinskys "Le sacre du printemps": Da sind die Fetzen geflogen, 30 verletzte Zuschauer hat die Polizei registriert. Sind solche Skandale heute noch denkbar?
Höhne: Vielleicht nicht in dem Ausmaß. Vor ein paar Jahren musste in der Kölner Philharmonie ein Konzert von Steve Reich abgebrochen werden. Das Publikum war offenkundig nicht bereit oder nicht in der Lage, sich mit Steve Reich zu befassen und der Cembalist, der das gespielt hat, sah sich dann gezwungen, aufzuhören. So etwas kann durchaus noch passieren, selbstverständlich.
Haben Sie auch schon mal in einer Vorstellung "Buh" gerufen?
Höhne: Nein, "Buh" nicht. Aber wohl schon mal enthusiastische Zustimmung signalisiert.
Das Interview führte Eva Schramm.