Alexander Dinges - ein Mann mit Glatze und Brille. © Alexander Dinges
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AUDIO: Tee mit Warum: Wie prägt Sprache unsere Wirklichkeit? (42 Min)

Philosoph Alexander Dinges: "Sprache setzt uns Grenzen"

Stand: 05.05.2023 18:18 Uhr

In der neuen Folge des Philosophie-Podcast Tee mit Warum fragen sich die Hosts Denise M'Baye und Sebastian Friedrich wie Sprache unsere Wirklichkeit prägt. Dafür fragen sie unter anderem den Sprachphilosophen Alexander Dinges.

Der Philosoph Alexander Dinges von der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen ist in Folge 5 des Podcasts Tee mit Warum zu Gast. Das Interview lesen Sie hier. Die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum in der ARD Audiothek

Denise M‘Baye und Sebastian Friedrich sprechen über die großen Fragen des Lebens und stellen dabei immer wieder den Bezug zum alltäglichen Leben her. extern

Wie prägt Sprache unsere Wirklichkeit?

Alexander Dinges: Da gibt es viele Aspekte, auf die man eingehen kann. Aber grundlegend ist es wichtig erst mal darauf hinzuweisen, dass Sprache selbst Teil der Wirklichkeit ist. Sobald ich irgendetwas sage oder frage, erschaffe ich in einem gewissen Sinne ein Stück Wirklichkeit. Wenn ich jemandem irgendein Schimpfwort an den Kopf werfe, dann wird es Teil der Wirklichkeit, dass ich diese Person beleidigt habe. Einfach dadurch, dass ich sprachlich gehandelt habe. Sprachliche Handlungen sind Teil der Realität.

Eines der berühmtesten Zitate von Ludwig Wittgenstein ist "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt". Wie würdest du diesen Satz verstehen? Gerade in Hinblick auf die Frage, wie Sprache unsere Realität prägt.

Dinges: Ich verstehe den nicht in die Richtung, dass Sprache unsere Realität prägt, sondern vielmehr so, dass Sprache unseren Zugang zur Realität prägt. Ich glaube nicht, dass er sagen will, wir würden alle in einer unterschiedlichen Welt leben. Er wird schon davon ausgehen, dass es nur eine Welt gibt, von der wir alle Teil sind. Aber wir haben jeweils eine eigene Welt, in dem Sinn, dass es bestimmte Aspekte der Welt gibt, die uns zugänglich sind und andere Aspekte der Welt, die uns nicht zugänglich sind. Ich denke er hat recht, wenn er sagt: Die Sprache setzt da die Grenzen. Wenn man an ein Kind denkt, das gerade Sprache gelernt hat, aber nicht das gesamte begriffliche Repertoire eines Erwachsenen hat. Vielleicht kennt es den Begriff des Aktienkurses noch nicht. Jetzt passiert irgendetwas in der Welt: Die Aktienkurse fallen oder steigen. Ich glaube, es ist richtig zu sagen, dass dem Kind dieser Teil der Welt in einem gewissen Sinn versperrt bleibt. Einfach, weil es nicht die begrifflichen Mittel hat, um die zu beschreiben. Da dem Kind diese sprachliche Fähigkeit fehlt, kann es auch diesen Teil der Realität nicht erfassen. So lese ich das. Als eine These darüber, was wir von der Welt begreifen können. Und nicht so sehr, wie die Welt geschaffen wird.

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Bedeutet das, dass wir in unserer Wirklichkeit getrennt voneinander sind? Weil wir eingeschränkt sind und manches gar nicht begreifen können?

Dinges: Bis zu einem gewissen Grad stimmt das. Aber man darf es auch nicht übertreiben. Es gibt bestimmte Bereiche in der Sprache oder in der Welt der Begriffe, wo der eine von euch vielleicht mehr Kenntnisse hat als der andere und andere Bereiche, wo die andere mehr Kenntnisse hat. Und in diesen Bereichen könnte es sein, dass es bestimmte Dinge gibt, die für den einen oder die andere nicht erfassbar sind. Aber gleichzeitig gibt es ein riesiges Begriffsrepertoire, das ihr und wir alle teilen. Wenn man trivial anfängt: Über Häuser und Dachziegel und Autoreifen können wir alle reden. Da finden wir auch wieder zusammen. Es sind eher die entlegenen Ecken, wo die Grenzen unterschiedlich gezogen sind. Aber im Kernbereich der menschlichen Kommunikation sind wir alle fähig, viele Dinge zu begreifen und auszudrücken.

Ein Punkt, mit dem wir uns in der letzten Folge von Tee mit Warum ein bisschen intensiver auseinandergesetzt haben, war die Frage: Inwieweit ist Sprache Abbild von Realität und inwieweit schafft Sprache Wirklichkeit? Was meinst du dazu?

Dinges: Erst einmal zu der Frage, inwiefern Sprache Wirklichkeit schafft. Es gibt bestimmte Aspekte der Wirklichkeit, die nicht von der Sprache geprägt werden und andere, bei den es schon so ist. Dass der Mond sich um die Erde dreht oder das Gras grün ist: Das sind Tatsachen. Die bestehen erst einmal unabhängig davon, ohne dass irgendjemand darüber redet. Auch wenn wir uns irgendwann nicht mehr für den Mond interessieren oder ausgestorben sind, dreht der Mond da immer noch vor sich hin und das Gras ist immer noch grün. Ich glaube, es gibt Aspekte der Realität, die auf den ersten Blick unabhängig von Sprache sind. Aber andere sind es nicht. Die Rechte und Pflichten, die wir gegenüber anderen haben und die andere uns gegenüber haben, die sind in ganz vielen Fällen durch Sprache konstruiert. Wenn man zum Beispiel an Versprechen denkt: Ich verspreche euch, dass ich heute zum Interview erscheine. Dadurch, dass ich ich dieses Versprechen gemacht habe, habe ich eine Pflicht geschaffen, zum Interview zu erscheinen. Bevor ich das Versprechen gemacht habe, gab es keine solche Pflicht. Aber ich habe die durch mein Sprechen erschaffen. Ganz viele Rechte und Pflichten, die wir anderen gegenüber haben, sind durch Sprache konstituiert.

Wie gerecht ist Sprache? Kann Sprache gerecht sein und kann Sprache dazu beitragen, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen?

Dinges: Ich glaube, dass Sprache dazu beitragen kann, in einer gerechteren Gesellschaft zu leben. Das Gendern, bestimmte Schimpfwörter - das ist sicher kontrovers. Aber ich glaube, dass bestimmte Änderungen gut motiviert sein können. Wenn man in bestimmten Kontexten und Ansprachen Frauen, Männer und alle anderen mehr berücksichtigen möchte: Das ist ein legitimes Anliegen zu versuchen, da gerechter zu sein, indem man eine Ansprache findet, bei der sich alle gleichermaßen repräsentiert fühlen. Bei Schimpfwörtern finde ich es noch eindeutiger. Viele von diesen Schimpfwörtern, die man nicht mehr benutzen will, die haben einfach beleidigende Bedeutungen, die man nicht transportieren will. Dann ist es gut zu sagen, wir verzichten in unserer zukünftigen Sprache auf bestimmte Ausdrücke. Das N-Wort oder was auch immer man da jetzt als Beispiel nehmen möchte.

Das Gespräch führten Denise M’Baye und Sebastian Friedrich im neuen Philosophie-Podcast Tee mit Warum. Die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

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Dieses Thema im Programm:

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