Neues Evangelisches Gesangbuch geplant: "Wir wollen up to date sein"
1524 ist das erste Evangelische Gesangbuch erschienen. Gerade arbeitet eine Kommission aus 80 Mitgliedern an der Revision des Gesangbuchs. Mit dabei ist auch der Theologe und Kirchenmusiker Jochen Arnold.
Herr Arnold, aktuell wird an einer Neuausgabe des Evangelischen Gesangbuchs gearbeitet. Etwa alle 30 Jahre wird es einer Revision unterzogen. Was sind die Gründe dafür?
Jochen Arnold: Die Gründe sind einfach sie liegen auf dem Tisch. Das Liedgut ändert sich so rasant wie unsere Gesellschaft, wie unsere Welt, und wir wollen als evangelische Kirche, als singende Kirche up to date sein. Wir wollen Menschen mit dem Liedgut erreichen und auch das Lebensgefühl, das wir als Christenmenschen haben, damit ausdrücken.
Nicht nur der Zeitgeist und die Vorlieben ändern sich. Heute hat man auch ein großes Bewusstsein dafür, welche Lieder zum Beispiel antisemitische oder martialische Inhalte haben könnten. Geben Sie uns doch ein paar Beispiele.
Arnold: Das ist tatsächlich nicht ganz einfach, auf einen Nenner zu bringen. Natürlich werden Lieder nicht mehr aufgenommen, von denen wir wissen, dass sie ganz wenig gesungen worden sind, weil sie eine spröde Melodie haben oder weil sie vom Text abständig und schwer verständlich sind. Dann beschäftigen wir uns aber auch mit heißen Eisen: Dazu gehören Komponisten und Autor*innen, die sich zum Beispiel in der Vergangenheit problematisch zum Umgang mit den Juden geäußert oder rassistische Äußerungen vertreten haben. Wir schauen auch, wo es Texte gibt, die exklusiv sind, die rassistische oder frauenfeindliche Spuren enthalten.
Die neueste Geschichte unserer evangelischen Kirche ist auch belastet durch die Forum-Studie und alles das, was wir über sexuelle Übertritte wissen. Da gibt es einzelne Komponisten, die wir kritisch anschauen, ob wir ein Lied von denen weiter singen wollen. Da ist gerade eine kleine Ethikkommission gegründet worden, die untersuch, welche Lieder da unter Umständen rausgenommen werden müssten.
"Laudato si" wäre so ein Beispiel, oder?
Arnold: Genau so ist es.
Auch die Frage "traditionell oder modern?" stellt sich alle paar Jahrzehnte. Wie findet man da eine gute Balance, die auch für die kommenden Jahre halten dürfte?
Arnold: Die Liedauswahl ist an den Texten orientiert, die ein großes Spektrum an Glaubensthemen und an Theologie enthalten sollen. Wir haben aber auch den Anspruch, dass wir verschiedene Liedstilistiken darin haben wollen - von der Gregorianik angefangen, wie zum Beispiel beim Stundengebet oder bei Psalmensingen, über die klassischen Choräle bis hin zum neuen geistlichen Lied, also der Schlager der 70er- und 80er-Jahre. Auch aktuelle Pop-Stücke bis hin zu Gospel- und Worship-Titeln. Wir haben internationale Lieder aus dem afrikanischen, dem lateinamerikanischen und dem asiatischen Kontext. So bunt und so vielfältig - sowohl inhaltlich als auch musikalisch - wie dieses Gesangbuch war noch keines. Außerdem wird es nicht nur ein gedrucktes Gesangbuch geben, sondern auch ein digitales Gesangbuch: Mit einer App ist es dann benutzbar.
Wissen Sie, wie hoch die letzte Auflage war und wie hoch die kommende sein wird? Berücksichtigt man da auch die schwindende Zahl der Kirchenbesucher angesichts der vielen Austritte?
Arnold: Ja, natürlich wird diese Auflage nicht mehr die letzte erreichen. Ich gehe davon aus, dass es eine Auflage von circa fünf Millionen war - aber ich kann das nicht genau sagen. Wir rechnen aktuell so, dass wir pro Kirchengemeinde circa 150 bis 250 Liederbücher liefern würden. Wenn man das dann pro Landeskirche hochrechnet, dann kommt man auf Auflagen entsprechender Art.
Wir gehen auch davon aus, dass sich Menschen selbst das Gesangbuch kaufen. Ich habe zu meiner Konfirmation ein Gesangbuch von meinen Eltern geschenkt bekommen, und ich tue das auch nach wie vor, wenn ich zu Konfirmationen eingeladen bin, dass ich der Konfirmandin oder dem Konfirmanden ein Gesangbuch schenke. Bei einem attraktiven Layout, einer tollen neuen Rubrizierung und einer interessanten Aufmachung wird das ein Buch sein, das auch bibliophil schön ist. Wenn das dann 20 bis 25 Euro kostet, was wir hoffen, dann ist es auch eine erschwingliche Größe.
2028 soll das neue Gesangbuch erscheinen, aber die Erprobungsphase ist schon im nächsten Jahr. Was bedeutet Erprobungsphase?
Arnold: Erprobungsphase bedeutet, dass in allen Landeskirchen Pilot-Gruppen mit einem Ausschnitt aus dem Gesangbuch beglückt werden. Abend- und Nachtlieder, Lieder zu Advent und Weihnachten, zur Taufe, und eine Auswahl von Psalmliedern sollen nächstes Jahr in einem kleinen Bändchen gedruckt und an diese Zielgruppen in unterschiedlichen Landeskirchen und in unterschiedlicher Besetzung verteilt werden. Die sollen das dann auswerten. Wir werden im Herbst mit diesem kleinen Büchlein rauskommen, im Frühjahr die Rückmeldungen einsammeln, um dann hoffentlich im Sommer 2026 zu einer letzten Runde ansetzen, wo die noch nicht ausgewerteten Lieder dazukommen, aber auch die Ergebnisse dieser Umfrage sorgfältig eingearbeitet werden.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.