Musikwoche Hitzacker: Wie kuratiert ein Orchester ein ganzes Festival?
Bei der diesjährigen Ausgabe der Musikwoche Hitzacker Anfang März startet das Festival für klassische Musik in eine neue Ära. Cellist Stefan Faludi gibt Einblicke in die Arbeitsabläufe und verrät einige Highlights des Programms.
Herr Faludi, wie haben das Mahler Chamber Orchestra und die Musikwoche Hitzacker zusammengefunden?
Stefan Faludi: Eines unserer Orchestermitglieder, mein Cello-Kollege Philipp von Steinaecker, hatte einen Kontakt zum Management des Festivals, das auf der Suche nach einer Nachfolge für Albrecht Mayer war. Zunächst dachte man dabei an einen renommierten Solisten oder Kammermusiker. Aber Philipp von Steinaecker hat einfach diese Idee in den Raum geworfen, dass es doch toll wäre, ein Ensemble beziehungsweise ein Orchester zu verpflichten.
Dieser Vorschlag hat erstmal eine Menge Fragen aufgeworfen: Wie soll denn ein Kollektiv eine Festivalleitung übernehmen? Darauf hat man lange herumgedacht. So hat sich am Ende herauskristallisiert, dass man gerne mit dem gesamten Orchester arbeiten möchte, aber jedes Jahr eine Person aus dem Orchester bestimmt wird, die das ganze koordiniert. Wir haben das Konzept "artistic representative" getauft. Diese Person bin in diesem Jahr ich.
Herzlichen Glückwunsch, wie haben Sie diese große Aufgabe und Verantwortung denn erhalten?
Faludi: Wir haben tatsächlich eine Ausschreibung gemacht, auf die sich jedes Orchestermitglied bewerben konnte. Dabei gab es gewisse Vorgaben, welche Aufgaben dabei zum Beispiel übernommen werden müssen: die Programmgestaltung, Texte verfassen, eventuell Moderationen übernehmen. Es war allerdings nicht so konkret gefasst, weil niemand bei uns im Büro oder im Orchester ganz genau wusste, was da auf uns zu kommt.
Ich habe für meine Bewerbung einfach mal ein Brainstorming gemacht, was für uns als Orchester thematisch interessant sein könnte und wie wir uns auch mit all unseren Facetten darstellen können. Wir haben ja auch viele Mitglieder, die noch außerhalb des Orchesters in anderen Konstellationen Kammermusik machen, ich habe mir überlegt, ob man die auch einbeziehen könnte. Das habe ich erstmal alles aufgeschrieben, ohne Rücksicht darauf, ob das überhaupt umsetzbar ist.
Damit konnten Sie sich also durchsetzen. Hatten Sie dann einen Freifahrtschein oder halten Sie trotzdem regelmäßig mit Ihrem sehr demokratisch organisierten Orchester Rücksprache?
Faludi: Es gab zunächst gewisse Vorgaben: Es sollen ungefähr zwanzig Veranstaltungen stattfinden. Mit der Geigerin Alina Ibragimova haben wir eine Solistin an unserer Seite, die auch schon eine konkrete Vorgabe für das Eröffnungskonzert gemacht hatte: eines der Mozart-Violinkonzerte drei, vier oder fünf. Ansonsten habe ich mit einem komplett weißen Blatt angefangen und musste einiges aus dem Hut zaubern. Ich habe wirklich nächtelang gegrübelt. Angefangen bei der Besetzung des ersten Konzertes, das aus Budget-Gründen das einzige Orchester-Konzert sein wird. Da wollte ich natürlich möglichst viel von uns zeigen.
Als Motto und roter Leitfaden für diese Woche ist mir sehr schnell "Passion" eingefallen. Anders als mein Vorgänger wollte ich keine musikalischen Fachbegriffe mehr verwenden, sondern etwas, das mit dem Publikum und uns zu tun hat. Das ist Leidenschaft, aber auch Leiden - und Passion, weil wir die kommenden fünf Jahre zufälligerweise in der Passionszeit diese Musikwoche gestalten werden. Darüber bin ich beispielsweise auf die Sinfonie "La Passione" von Haydn gekommen. Er ist neben Mozart und Beethoven einer der Komponisten, die wir am häufigsten spielen.
Es war letztlich wie ein Domino-Spiel. Mit einer Idee kam gleich die nächste, ich musste die Ideen ein bisschen im Zaum halten. Ich hätte auch noch problemlos drei oder vier weitere Festivalwochen planen können. Ich habe mir aber auch Rat bei anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Orchester geholt. Gerade im Bereich der Bläser habe ich mir zum Beispiel sehr uneitel Hilfe geholt und sie sehr konkret nach Programmvorschlägen gefragt. So bin ich auf das Musik-Comedy-Duo Carrington-Brown gekommen, ich wusste gar nicht, dass es auch ein explizites Kinder- und Jugendprogramm spielt. Insofern ist das Orchester aktiv miteinbezogen und konnte viele Vorschläge einbringen. Ich habe also nicht nur mein eigenes Ding gemacht, sondern auch viele Wünsche von Kolleginnen und Kollegen berücksichtigt.
Sie sind als Orchester auf der gesamten Welt unterwegs gewesen. Was macht denn der eher beschauliche Ort Hitzacker mit Ihnen?
Faludi: Wir sind ja als Orchester nicht gleich in der Berliner Philharmonie oder der Carnegie Hall gestartet, sondern wir haben unsere Residenz zunächst in Landshut gehabt und dann in Ferrara, einem kleinen Ort in Norditalien, mit einem kleinen Theater und einer kleinen Besuchergemeinde. Insofern haben kleine Städte eine große Rolle für uns gespielt und wir sind ihnen treu geblieben. Wir spielen zum Beispiel auch bei einem kleinen Festival in Kalifornien, mit einem sehr erfahrenen Publikum.
"Hitzacker trifft den Nerv der Vielfältigkeit unseres Orchesters." Cellist Stefan Faludi
Deswegen trifft Hitzacker auch einen Nerv unserer Vielfältigkeit, dass wir uns eben auch gerne in solchen Städten aufhalten, die nicht der Nabel der Welt sind, sondern wo wir auch die Möglichkeit haben, mit eigenen Formaten zu kommen und das Publikum ganz aktiv miteinzubeziehen. Insofern nehmen wir diese Orte sehr ernst und sie sind für die Intimität der Kammermusik eine der Essenzen unserer Orchestergeschichte. Es gab aber natürlich auch Herausforderungen: Zum Beispiel beim Koordinieren der Spielstätten für die Proben. Wir haben ja drei Spielstätten vor Ort, die Probenmöglichkeiten sind beschränkt. Da mussten wir auch ein bisschen ins Blaue hinein planen und schauen, ob das wirklich alles am Ende umsetzbar ist.
Stichwort Publikumsinteraktion - auch dafür steht das Mahler Chamber Orchestra. Inwiefern wird sich das in Hitzacker zeigen?
Faludi: Wir planen Gesprächskonzerte, sodass wir vom Publikum - neben dem Applaus - auch eine direkte Resonanz bekommen können. Es können Fragen an die Musiker gerichtet werden, zum Beispiel zum Thema "Spielen ohne Dirigent". Die Harfe soll als Musikinstrument vorgestellt werden, auch dort soll es die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen. Außerdem haben wir ein Format, bei dem ein Stück zwei Mal gespielt wird. In der Mitte gibt es Erklärungen dazu und dann wird es noch einmal gespielt. Und dann gibt es noch eine Neuheit: über VR-Brillen kann das Publikum mit dem Orchester interagieren, wir haben entsprechende Videoaufnahmen gemacht - ich glaube, das ist auch ein völlig neues Erlebnis. Wir werden auch über die Rolle des Zuhörers, des Publikums in der Zukunft diskutieren. Wir wollen im Laufe der fünfjährigen Residenz zu einem Austausch kommen, der uns weiterbringt. Es interessiert uns brennend, wie die Programme ankommen.
Die Musikwoche Hitzacker ist Kulturpartner von NDR Kultur. Das Gespräch führte Anina Pommerenke.