Musiklehrer-Mangel: "Dieses Schulfach ist enorm wichtig"
Seit Jahren werden an Schulen Musiklehrerinnen und -lehrer händeringend gesucht. Wie kann dieses Problem gelöst werden? Ein Gespräch mit Martin Weber, Vorsitzender des Verbands Deutscher Schulmusiker in Niedersachsen.
In Schleswig-Holstein will Bildungsministerin Prien am Dienstag ein Programm vorstellen, bei dem es darum gehen soll, Musiklehrkräftegewinnung flexibler zu denken. An der Musikhochschule Lübeck soll es dazu einen bundesweit einmaligen Studiengang geben. Martin Weber erläutert im Gespräch, warum sich das Problem des Lehrkräftemangels in den nächsten Jahren sogar noch verschlechtern dürfte, warum die Kreativitätsförderung und das Schulen des genauen Hinhörens so wichtig ist und welche Risiken es gibt, wenn immer mehr Musiklehrkräfte Quereinsteiger sind. Die wichtigste Frage sei: "Wie kriegen wir die fertigen Lehramtsstudenten ins Referendariat und in die Schule?"
Herr Weber, wir hören immer wieder, dass Musiklehrerinnen und -lehrer fehlen, dass nicht selten Musikunterricht deswegen ausfallen muss oder gar nicht erst stattfindet. Hat sich da in den vergangenen Jahren schon etwas getan?
Martin Weber: Leider nein. Das Problem hat sich in den letzten Jahren eher verschärft. Wir wissen schon seit vielen Jahren, dass es große Probleme, vor allem an den Grundschulen, gibt. Mittlerweile hat sich das auf die anderen Schulformen weiter ausgebreitet. Auch am Gymnasium, was noch bis vor wenigen Jahren ganz gut versorgt war, tun sich mittlerweile große Lücken auf. Wir haben auch den Demografie-Faktor, dass viele Kolleginnen und Kollegen, die unterrichten, schon älter sind, und so wird sich das Problem wahrscheinlich sogar in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen.
Was fehlt denn den Schülern - Stichwort: Persönlichkeitsentwicklung -, wenn gerade Musik nicht stattfindet?
Weber: Ich denke, das Fach Musik hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal im Fächerkanon, weil es das einzige Fach ist, in dem das Hören eine herausragende Rolle spielt. Unser ganzes Bildungssystem ist ja sehr stark visuell geprägt, aber im Musikunterricht geht es auch um die Sensibilität des genauen Zuhörens, des genauen Hinhörens. Das ist etwas Einmaliges, was Schülerinnen und Schülern verloren geht. Und natürlich der ganze Bereich der Kreativitätsförderung. Dieses Schulfach ist enorm wichtig, um Schülerinnen und Schüler auch mit unserer Musikkultur vertraut zu machen. Um ein Beispiel zu nennen: Ich gehe mit meinen Schülern regelmäßig und gerne ins Staatstheater Oldenburg, damit sie diese Institution Musiktheater einmal kennen und schätzen lernen, Konzerte besuchen, Künstlerinnen und Künstler in den Unterricht einladen. Wir haben ja auch einen kulturellen Bildungsauftrag, und Schülerinnen und Schüler, die das von zu Hause nicht mitbekommen, denen fehlen natürlich die entsprechenden Impulse.
Ist es aus Ihrer Sicht auch so, dass es auch heißt: Musik kann ja ruhig ausfallen - es ist ja nicht so "wichtig" wie Mathe zum Beispiel?
Weber: Ich glaube, dass das Problem alle Schulfächer betrifft; wir haben überall Nachwuchsmangel. Aber natürlich sind wir auch der Auffassung, dass die Probleme speziell beim Musiklehrer-Mangel auch etwas mit der Entwicklung des Schulfaches Musik zu tun haben. Wir haben deutlich rückgängige Zahlen an Musik-Abiturientinnen und -Abiturienten, und dementsprechend stehen weniger Leute fürs Studium zur Verfügung. Wir können beobachten, dass gerade im Lehramts-Bereich Studienplätze - wie in Hannover - nicht besetzt werden können.
Das heißt, die Katze beißt sich da so ein bisschen in den Schwanz. Wie könnte man das durchbrechen?
Weber: Indem wir die Situation des Musikunterrichts zunächst mal in der Oberstufe verbessern. Wir haben eine ganz schwierige Situation im Jahrgang elf: Da müssen sich drei Schulfächer, nämlich Darstellendes Spiel, Kunst und Musik zwei Wochenstunden teilen. Wir stecken da also auch in einer sehr ungünstigen Konkurrenz-Situation und müssen uns gegenseitig die Schülerinnen und Schüler wegnehmen. Die einfache Antwort wäre zunächst einmal: Wir brauchen einfach mehr Unterrichtsstunden, um dieses Fach kontinuierlich über alle Jahrgänge hinweg ohne Unterbrechung unterrichten zu können.
Inwiefern kann es auch sein, dass das Studium an sich einfach unattraktiv ist und sich Interessierte im Zweifel lieber für etwas anderes entscheiden?
Weber: Ich glaube nicht, dass das Studium unattraktiv ist. Wir haben eher das Problem, dass viele nach dem Studium nicht ins Referendariat gehen und die Schullaufbahn (zunächst mal) nicht weiter verfolgen. Dieses Problem hat sich in den letzten Jahren dadurch verschärft, dass es zum Beispiel an der Musikhochschule Hannover einen fächerübergreifenden Bachelor gibt, in dem alle Musikstudenten erst mal ein gemeinsames Grundstudium machen, bevor sie sich dann für bestimmte Fachrichtungen entscheiden. Das ermöglicht eine hohe Durchlässigkeit, sodass viele, die einen Bachelor oder Master machen, dann erst mal andere berufliche Zweige im Musikbereich anstreben. Ich glaube, der entscheidende Knackpunkt ist: Wie kriegen wir die fertigen Lehramtsstudenten ins Referendariat und in die Schule? Das scheint mir vielleicht das wichtigste Problem zu sein.
Musiklehrkräftegewinnung noch flexibler denken, heißt es in Schleswig-Holstein - gut möglich, dass da auch noch mehr auf Quereinsteiger gesetzt wird. Ist das aus Ihrer Sicht ein guter Weg? Oder besteht dann die Gefahr, dass da dann vielleicht einer sitzt, der zwar wunderbar Klavierspielen kann, aber eigentlich gar kein Pädagoge ist?
Weber: Sowohl vom Bildungsauftrag wie von der Methodik her sind das natürlich zwei sehr verschiedene Dinge. Einzelunterricht oder Kleingruppen-Unterricht lässt sich von der Methodik her nicht einfach auf einen Klassenunterricht übertragen. Sie müssen davon ausgehen, dass die Schülerinnen und Schüler im Schulunterricht nicht unbedingt freiwillig Musik machen wollen, sondern dazu verpflichtet werden. Und da muss man dann, gerade im Bereich der Motivation, ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten haben, um Schülerinnen und Schüler überhaupt erst mal für die Sache zu interessieren.
Die zweite Sache ist der Bildungsauftrag. Das Schulfach Musik ist mehr als nur Musizieren und Singen. Zumindest auf dem Gymnasium haben wir auch einen wissenschaftspropädeutischen Auftrag. Wir wollen Schülerinnen und Schüler auch zum Musikstudium heranführen. Das sind Inhalte, die ein Instrumentalpädagoge vielleicht nicht unbedingt im Blick hat.
Also unterm Strich: Sind Quereinsteiger eine gute Idee oder keine gute Idee?
Weber: Wir haben mittlerweile als Lehrerverbände - wir standen der Sache sehr skeptisch gegenüber - eingesehen, dass wir ohne Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger nicht auskommen werden. Aber wir haben schon die Sorge, dass aus einer Notlösung vielleicht eine Dauereinrichtung wird, sozusagen ein alternativer, regulärer Berufseinstieg. Das sehen wir sehr kritisch, denn das könnte dann auch kontraproduktiv sein und dazu führen, dass das reguläre Lehramtsstudium entwertet wird, dass vor allem das kräftezehrende und belastende Referendariat dann vielleicht umgangen wird und die Leute einfach sagen: "Ich mache ein schönes Musikstudium und dann versuche ich erst mal als Musiker ein bisschen das Leben zu genießen und mit Musik mein Geld zu verdienen. Und später kann ich ja dann immer noch in die Schule gehen." Wir müssen also aufpassen, dass da nicht Fehlanreize geschaffen werden, die wir nicht haben wollen. Der Weg kann eigentlich nur sein, das Lehramtsstudium langfristig wieder attraktiv zu machen und den Quereinstieg nur als vorübergehende Notlösung zu sehen.
Das Interview führte Jan Wiedemann.