"Glaube kann zu guten Taten inspirieren"
Am 19. Juni beginnt in Dortmund der Evangelische Kirchentag. Mehr als 2.000 Veranstaltungen sind geplant, an denen nicht nur Christinnen und Christen teilnehmen werden. Auch Musliminnen und Muslime treten beim Kirchentag auf. Unter anderem die Publizistin Lamya Kaddor. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, wird sie auf einem Podium über den Kampf gegen Antisemitismus sprechen. Gemeinsam mit Margot Käßmann und Wolfgang Schäuble über die Frage, wie politisch Religion sein darf. Im Freitagsforum erzählt sie, was sie sich vom Kirchentag erhofft.
Sind Gläubige "Religioten"?
Wer heute sagt: "Ich glaube an Gott", begibt sich leicht in die Gefahr, für naiv und dumm gehalten zu werden. In den vergangenen Jahren lässt sich in Deutschland zunehmend eine Abwertung von Menschen beobachten, die an eine übernatürliche Kraft glauben. Es ist modern geworden, Gläubige als "Religioten" zu beschimpfen - ein Neologismus aus Religion und Idioten. Oder sie mit Religionsparodien wie der 2005 gegründeten Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters zu verspotten. Als gläubiger Mensch kann man sich mittlerweile durchaus marginalisiert fühlen. Ob am Arbeitsplatz, beim Friseur oder beim Vereinsabend - vielen modernen Menschen ist es nur noch peinlich, sich zu einem Glauben zu bekennen - ganz egal ob es Muslime, Christen, Juden, Buddhisten, Hindus, Sikhs oder sonstige sind.
Als muslimischer Gast auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund würde ich mir wünschen, dass diese Entwicklungen stärker in den Fokus gerückt werden. Glaube führt zwar in allen Religionen oft zu Konflikten, da gibt es nichts schönzureden. Glaube kann aber ebenso etwas Positives bewirken. Glaube kann Menschen in Not Kraft geben und aus persönlichen Krisen heraushelfen. Glaube kann zu guten Taten inspirieren, von denen Mitmenschen profitieren. Ich finde, es ist Zeit, das wieder häufiger zu betonen - und zwar über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg.
Das Gute in den Religionen stärker aufzeigen
Die alten Dialogkonzepte haben sich ein Stück weit überlebt. Wir haben lange genug darüber geredet, welche Religion womöglich die wahre ist; wie Jesus im Islam gesehen wird; ob Allah, Gott und Jahve ein und derselbe sind etc. Kirchentage haben die theologischen Unterschiede zwischen den Religionen untersucht und ihre Gemeinsamkeiten betont. Auf mich wirken solche Debatten inzwischen wie aus der Zeit gefallen.
In einer religiös pluralistisch gewordenen und zunehmend polarisierten Gesellschaft scheint anderes wichtiger geworden zu sein: Wir sollten gemeinsam das Gute in den Religionen stärker aufzeigen. Das liegt im Interesse aller Religionsanhänger, gleich welcher Richtung sie im Einzelnen folgen. Religion muss nicht für jeden das Richtige sein, aber die, die sich dafür entscheiden, brauchen angesichts der sich ausbreitenden Verachtung mehr Unterstützung.
Forderung nach gegenseitigem Respekt
Gewiss mag nach Jahrtausenden der Überheblichkeit sowie physischer und psychischer Gewalt im Namen von Religionen gegen angebliche "Ungläubige", "Heiden", "Gottlose" der Wunsch einiger nach Vergeltung groß sein. Um nicht missverstanden zu werden: Die Feindseligkeiten gegen und Diskriminierungen von Atheisten, Agnostikern, Konfessionslosen sind ein Problem, das angegangen werden muss. Doch gerade Menschen, die Vernunft als Gegensatz zum Glauben positionieren, kann man schon fragen, wieso ausgerechnet sie so aggressiv und unvernünftig auf gläubige Menschen reagieren.
Da es immer Menschen mit und ohne Glauben geben wird, führen solche feindlichen Gesinnungen bloß zu weiteren gesellschaftlichen Spannungen. Ein kritischer Umgang mit Religionsstrukturen und Menschen, die andere mit ihrem Glauben belästigen oder diesen für Schlimmeres instrumentalisieren, ist unbedingt erforderlich. Doch dieser Umgang kann nur zielführend sein, wenn er zwischen Gläubigen und nicht Glaubenden in gegenseitigem Respekt voreinander erfolgt.