Kommentar zum Katholikentag: Zeit kirchlicher Selbstgewissheit ist vorbei
Vor 13 Jahren besuchte Papst Benedikt XVI. Erfurt. Beim diesjährigen Katholikentag dort hat sich eine offene, politische Kirche präsentiert. Das macht Hoffnung, meint Florian Breitmeier, NDR Religion und Gesellschaft.
Der 103. Katholikentag gab einen Fingerzeig in die nahe Zukunft: Christinnen und Christen können kompakt und kontaktfreudig inmitten einer stark säkularen Welt unterwegs sein, auch klar Position beziehen, ohne dabei in moralischer oder kultureller Hinsicht die Deutungshoheit zu beanspruchen. Sie haben etwas anzubieten, auch wenn die Zeiten kirchlicher Selbstgewissheit vorbei sind.
Kein ökumenisches Gastgeschenk beim Papstbesuch 2011
Als das letzte Mal in Erfurt ein großes katholisches Ereignis mit bundesweiter Strahlkraft stattfand, da hatte der prominente Prediger kein "ökumenisches Gastgeschenk" im Gepäck, wie es damals hieß. Der deutsche Papst, Benedikt XVI., besuchte 2011 zwar die Wirkungsstätten Martin Luthers, konnte aber in einer Stadt, in der der Reformator noch katholisch war, keine hoffnungsvollen Signale in Richtung Ökumene aussenden. Der Besuch blieb größtenteils ein katholisches Selbstgespräch. Rund 13 Jahre ist das her.
Zeitenwende in Kirche und Gesellschaft
Deutschland, Europa und auch die katholische Kirche haben sich seitdem verändert. Vielleicht muss man den aktuellen Katholikentag in Erfurt vor dem Hintergrund des damaligen Papstbesuchs sehen, um zu verstehen, wie radikal sich die katholische Kirche und auch die Gesellschaft verändert haben. Vor 13 Jahren gab es keine öffentlichen Debatten und Beschlüsse von Laien und Bischöfen zu katholischen Reformfragen, es gab keinen Synodalen Weg. Zudem: In der Ukraine tobte kein Krieg, es gab in Deutschland keine AfD. 2011 - 2024, Zeitenwende eben.
Breites ökumenisches Engagement mit einladender Wirkung
Der Katholikentag in Erfurt hat sich engagiert und empathisch den komplexen Herausforderungen der Zeit gestellt. Er war so politisch wie selten zuvor. Dazu gehörte auch das Aushalten von Ungewissheiten und Zukunftssorgen angesichts von Terror, Gewalt, Kriegen und Krisen. Und zugleich zeigte der Katholikentag entschieden Kante gegen völkischen Nationalismus, trat wehrhaft für die Menschenwürde und die Demokratie ein.
Dem Katholikentag ist dies in der Breitenwirkung auch deshalb eindrucksvoll gelungen, weil er dabei von vielen evangelischen Christinnen und Christen unterstützt wurde. So offerierte sich das Christentreffen in Erfurt quasi selbst ein ökumenisches Gastgeschenk der einladenden Art – auch für Menschen, die in einem stark säkularen Umfeld mit Religion nichts am Hut haben, die einen Gott in ihrem Leben auch nicht vermissen. Die katholische Kirche wird nach den intensiven Tagen von Erfurt keine Masseneintritte verzeichnen, aber gezeigt zu haben, wie Kirche auch funktionieren kann, als eine aus den Alltagssorgen herausgerufene Versammlung nämlich, die ihren Platz mit Konzerten, Diskussionen und Gottesdiensten in der Welt von heute hat, das sollte nicht unterschätzt werden. Gerade angesichts religiöser Abbrüche in der Fläche infolge von Kirchenaustritten, sinkender Finanzkraft, Desinteresse.
Erwartungen der Politik, Perspektiven der Kirche
Wenn selbstbewusste Laien – übrigens ganz in der langen Tradition der Katholikentage - weiterhin ein Stachel sein wollen in der Kirche und in der Gesellschaft, dann sollten sie aber nicht überall auf übergroße Harmonie und unkritische Nähe setzen.
So gibt es in der Politik angesichts multipler Krisen eine weit verbreitete Erwartungshaltung gegenüber den Kirchen, frei nach dem Motto: Bringt euch stärker in die Gesellschaft ein, kreist nicht nur um euch selbst, ihr werdet hier gebraucht! Angesichts eigener Skandale und Krisen hören das die Kirchen gern.
Darin steckt für die Amtskirchen aber auch die verlockende Gefahr, dringend anstehende Hausaufgaben nicht so zu erledigen, wie das nötig ist, um eine Zukunft zu haben. Denn klar ist: Nur Christen, die sich nicht für ihre Kirche schämen, werden sich auch im Namen dieser Kirche selbstbewusst in die gesellschaftliche Debatte einbringen und öffentlich als Christen auftreten. Da gibt es noch eine Menge zu tun – zum Beispiel beim Thema sexualisierte Gewalt, deren schonungslose Aufarbeitung mitsamt einer angemessenen Entschädigung für die Betroffenen.
Kirche verändert sich radikal und rasant
Der Katholikentag in Erfurt hat es gezeigt - im Großen wie im Kleinen: Die Sozialgestalt von Kirche verändert sich rasant und radikal. Dem Erfurter Katholikentag der kurzen Weg folgt im kirchlichen Alltag oft die Weite der pastoralen Räume. Das mag schmerzen. Die Wahrheit der Verluste öffnet aber auch Räume für ein neues Engagement mit Herz und Haltung. So gesehen könnten nach diesem Christentreffen viele auch wieder etwas hoffnungsvoller auf die Kirche schauen.