Dirk van Laak © Christiane Gundlach Foto: Christiane Gundlach

Investitionsruinen: Wenn Großprojekte grandios scheitern

Stand: 17.04.2024 06:00 Uhr

Der Historiker Dirk van Laak hat schon vor 25 Jahren sein Interesse an Investitionsruinen gewonnen und befasst sich bis heute mit diesen gescheiterten Mega-Projekten, den sogenannten "weißen Elefanten".

Im Interview erklärt er, was ihn an Bauruinen so fasziniert und was man aus vielen gescheiterten Projekten des 20. Jahrhunderts gelernt hat.

Herr van Laak, "weiße Elefanten" - warum heißt das so, und woher kommt dieser Begriff?

Dirk van Laak: Der Begriff kommt aus dem alten Siam, wo es eine subtile Praxis der Könige war, dass in Ungnade gefallene Günstlinge so einen weißen Elefanten geschenkt bekamen. Das war ein sehr seltenes und kostbares Tier, man musste es entsprechend aufwendig unterhalten, und der Beschenkte war dadurch ruiniert. Das ist dann in den 50er-Jahren als Bild in die Sprache der Entwicklungshilfe übergegangen und hat große Investitionen umschrieben, aus denen nichts geworden ist.

Was genau unterscheidet eine Bauruine von einer Investitionsruine?

van Laak: Eigentlich ist es synonym. Das eine bezieht sich eher auf die Disfunktionalität, das andere eher auf das verschwendete Geld. Sofern sind es zwei Aspekte desselben Phänomens.

Welche großen norddeutschen Beispiele gibt es dafür?

van Laak: Die Elbphilharmonie wäre fast ein weißer Elefant geworden. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man durch eine beherzte Anstrengung doch noch die Kurve kriegen kann. Man könnte auch einige lokale Flughäfen zu den "weißen Elefanten" zählen, weil es mal die Ambition und der Ehrgeiz von jedem Bundesland war, einen lokalen Flughafen zu besitzen. Das hat sich nicht in jedem Fall gerechnet.

Haben Sie manche Ruinen auch ein bisschen lieb gewonnen oder zu schätzen gelernt?

van Laak: Ja, natürlich. Das sind ehrgeizige Projekte, große Ingenieurs-Fantasien, die zeitweise gar keine Grenzen kannten. Wobei ich mich vor allem mit der Geschichte im 20. Jahrhundert beschäftigt habe, einer Zeit, in der viel geplant wurde, sehr großzügig geplant wurde, manchmal über Kontinente hinweg, in der die Natur, so wie sie vorgefunden wurde, nicht mehr akzeptiert und umgestaltet wurde im Sinne des Menschen. Also große Planungen zur Umgestaltung der Natur, etwa in der Sowjetunion, der späteren Stalin-Zeit, die großen Infrastrukturprojekte das New Deal in den USA oder große Eisenbahnprojekte, die etwa in den 30er-, 40er-Jahren in Deutschland kontinental geplant worden. Das hat schon etwas Faszinierendes, weil das Selbstvertrauen einer bestimmten Zeit und auch einer bestimmten Berufskaste, der Planer und der Ingenieure, sich darin widergespiegelt hat.

Manches wird nicht einfach abgerissen, obwohl man weiß, dass daraus nichts mehr wird. Warum bleiben manche Ruinen trotzdem stehen?

van Laak: Manche, weil sie nicht so einfach zu beseitigen sind. Hier wäre ein schönes Beispiel Prora auf Rügen, diese riesengroße Kraft-durch-Freude-Siedlung, die in den 30er-Jahren entstanden ist. Man hat versucht, die zu sprengen, die wieder loszuwerden, aber das klappte nicht. Dann hat man versucht, sie umzunutzen, und erst seit wenigen Jahren ist sie als Ferienparadies neu entdeckt worden und erlebt jetzt eine zweite Blüte.

Was ist das Schönste, was mit einer Investitionsruine passiert ist, über die Sie geforscht haben?

Das Kernkraftwerk "Schneller Brüter " war in Kalkar am Niederrhein geplant, das nie in Betrieb ging. © picture-alliance / Rolf Kosecki Foto: Rolf Kosecki
Das Kernkraftwerk "Schneller Brüter " war in Kalkar am Niederrhein geplant, das nie in Betrieb ging.

van Laak: Es gibt eine kleine Ruine, die Ruine des "Schnellen Brüters" in Kalkar, aus der später unter dem Namen Kernwasser-Wunderland ein Funpark geworden ist, der sich bis heute ganz gut hält. Das ist ein schönes Symbol, jedenfalls für eine Zeit, die mal von der Atomkraft sehr fasziniert war und die allerhöchsten Erwartungen darin gesetzt hatte. Heute ist es ein Ablenkungsort für den Alltag geworden.

Man müsste doch irgendwann gelernt haben, das zu vermeiden, dass es solche Investitionsruinen gibt, oder?

van Laak: Man hat aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts und aus vielen gescheiterten Projekten gelernt. Es wird heute komplexer geplant, es werden Anwohner stärker mit einbezogen. Es werden nicht nur Ingenieure nach vorne gelassen, sondern auch Leute, die von den sozialen Komponenten etwas verstehen. Es wird also auf mehreren Ebenen geplant. Man weiß heute, dass je größer ein Projekt ist, umso komplizierter es sich in die Landschaft fügen muss, nicht nur in die buchstäbliche Landschaft, sondern auch in die soziale Landschaft, die kulturelle Landschaft. Das weiß man heute und plant ein bisschen vielschichtiger, intelligenter und ökologischer, als das früher der Fall war.

Das Interview führte Philipp Schmid.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 17.04.2024 | 08:10 Uhr

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