Der Fall Khashoggi und das Schweigen der UN
Vor mehr als zwei Wochen ist der saudische Journalist Jamal Khashoggi verschwunden. Der Fall ist längst zu einem Politikum zwischen der Türkei, Saudi Arabien und den USA geworden. Vier internationale Menschenrechtsorganisationen haben nun die Vereinten Nationen in New York aufgefordert, endlich Stellung zu beziehen und Untersuchungen einzuleiten - vergeblich. Georg Schwarte ist ARD-Hörfunkkorrespondent in New York und verfolgt das Geschehen bei den Vereinten Nationen intensiv.
Herr Schwarte, ist zu erklären, warum die UN in dieser Angelegenheit so beharrlich schweigt?
Georg Schwarte: Es gibt Motive - zu erklären ist es nicht, zu begründen ist es nicht. Man kann es nicht verstehen. Es gibt relativ große Empörung bei allen journalistischen Kollegen hier in New York, die die UN teilweise seit Jahren begleiten. Gestern gab es bei einem Presse-Briefing des Sprechers des UN-Generalsekretärs ein einziges Thema: den Fall Khashoggi. Und das war das ohrenbetäubende Schweigen dieses UN-Generalsekretärs. Man muss sich das vorstellen: António Guterres ist der Generalsekräter der Vereinten Nationen, der Regierung der Welt. Das Einzige, was dieser Mann in diesem Job hat, ist eine moralische Autorität - ansonsten kann er wenig bewegen. Und diese António Guterres schweigt seit 17 Tagen zum Fall Khashoggi. Er hat sich nicht ein einziges Mal hier in New York vor ein Mikrofon gestellt und sich zu diesem Thema geäußert. Er muss nichts fordern, er muss nichts wollen, aber er kann sich zumindest hinstellen und seine Meinung zu diesem Thema sagen. Das hat er nicht getan, und das wird ihm sehr übel genommen - nicht nur von Journalisten, sondern auch von immer größeren Organisationen und Gruppen.
Aber was würde es ändern, wenn er sein Schweigen bräche? Denn im Grunde ist es eine Symbolfunktion, die er einnimmt als Chef einer machtlosen Weltregierung.
Schwarte: Ja, er ist machtlos, aber ganz so machtlos auch nicht, denn die UN hätte durchaus Handhabe. Dazu braucht es Folgendes: Beide Länder, die in diesem Fall betroffen sind, Saudi-Arabien und die Türkei, müssten den UN-Generalsekretär bitten, eine unabhängige UN-Untersuchung einzuleiten. Dann kann er das binnen 24 Stunden anordnen. Eine andere Möglichkeit wäre: Der Sicherheitsrat, dieses höchste Gremium der UN, oder die UN-Generalversammlung, also die Vollversammlung 193 Staaten hier in New York, die müssten den Generalsekretär auffordern, eine unabhängige Untersuchung zum Fall Kashoggi einzuleiten - und so hätte Guterres die Möglichkeit, das zu tun. Er kann sich natürlich, wie er es jetzt tut, einfach hinsetzen, abwarten und sagen: Wenn mich keiner fragt, tue ich auch nichts. Er kann sich aber auch hinstellen und sagen: Ich fordere euch auf, bittet mich, eine solche Untersuchung einzuleiten. Das wäre, mit moralischer Autorität eines UN-Generalsekretärs unterlegt, eigentlich sein Job.
Guterres ist nach dem oft sehr schweigsamen Ban Ki-moon angetreten, einem Generalsekretär, dem man immer nachgesagt hat: Der war mehr Sekretär als General. Dieser Guterres hat bei seinem Antritt gesagt: Was es braucht, ist Führungsstärke und Werte. Er hat gesagt, er wolle sagen, was ist. Dieser Mann sagt nicht, was ist. Er sagt nicht, was im Fall Khashoggi offenbar passiert ist. Er sagt nicht, dass Saudi-Arabien offenbar Druck ausübt.
Dieses Saudi-Arabien spielt bei den Vereinten Nationen sehr häufig eine sehr ungute Rolle - das hat zuletzt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erleben müssen. Es gibt jedes Jahr eine "schwarze Liste" der Staaten, die Kinder in bewaffneten Konflikten einsetzen. Saudi-Arabien stand auf dieser Liste und hatte Ban Ki-moon damals erpresst und gesagt: Wir geben sehr viele Milliarden für UN-Hilfsorganisationen. Wenn wir nicht von dieser Liste verschwinden, gibt es kein Geld mehr. Und Saudi-Arabien verschwand von dieser Liste. Ban Ki-moon hat am Ende seiner Amtszeit eingeräumt, dass er erpresst worden ist, und man könnte im Augenblick den Verdacht haben, dass Guterres wieder vor dieser Situation steht und dass er erbärmlicher Weise kneift.
Ist das ein persönliches, ein moralisches Versagen von António Guterres? Oder ist das ein Versagen des Amtes, und muss man diese Präsidentschaft infrage stellen?
Schwarte: Nein, das ist in diesem Fall - das ist nur meine Meinung - ein persönliches Versagen von Guterres, der offenbar nicht die Größe und nicht die Stärke hat, sich hinzustellen und zu sagen, was ist. Das einzige, was dieser Mann hat, ist das Wort; er ist angetreten als großer Kommunikator. Aber dieses ohrenbetäubende Schweigen zu diesem Fall ist schon relativ nachhaltig. Er schickt seinen Sprecher vor, und der Sprecher sagt ein ums andere Mal, der UN-Generalsekretär fordere, dass die Wahrheit ans Licht komme. Die Wahrheit ist ein flüchtig Ding und sie kommt von alleine nicht ans Licht. Eine unabhängige UN-Untersuchung ist in diesem Fall vermutlich das einzige, was Licht in diese Tragödie bringen könnte. Denn wer ermittelt gerade, wer untersucht? Es ist Saudi-Arabien. Das ist ungefähr so, als würde man den Angeklagten im Gerichtssaal bitten, gleichzeitig auch der Staatsanwalt und der Richter zu sein. Das andere Land ist die Türkei, ein Land, das in einem Ruf steht, Journalisten zu behandeln, wie sich die UN das nicht wünscht.
Gestern gab es hier eine UN-Veranstaltung über erzwungene Entführungen. Da saß ein UN-Vertreter, ein nicht sehr wichtiger Mensch, auf dem Podium und sagte die Sätze, die wir von einem UN-Generalsekretär hören wollen: All das und auch der Fall Khashoggi stehe in diametralem Gegensatz zu allen Werten, die diese Vereinten Nationen repräsentierten. Die Welt müsse aufstehen und sagen: so nicht!
Das Interview führte Jürgen Deppe