Flussschwimmen: "Hedonistische Art, den öffentlichen Raum zu genießen"
Andreas Ruby, der Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums in Basel, ist leidenschaftlicher Flussschwimmer. "In dem Moment, wo man im Fluss ist, kann man die Stadt erst richtig verstehen", erzählt er Im Interview.
Herr Ruby, Sie haben die Liebe zum Schwimmen in Flüssen für sich entdeckt. Was fasziniert Sie daran?
Andreas Ruby: Dass man so viel Natur in der Stadt erlebt. Dass man spürt, dass fließendes Gewässer etwas anderes ist als ein stehendes Gewässer. Und dass man überhaupt merkt, dass ein Fluss in einer Stadt ein eine Art von flüssiger öffentlicher Raum ist und nicht einfach eine Abwasser-Typologie, wie das über Jahrhunderte genutzt wurde. Sondern tatsächlich ein essenzieller Teil des für die Menschen nutzbaren Stadtraums.
Es ist nicht ganz ungefährlich, in einem Fluss zu schwimmen, oder?
Ruby: Flussschwimmen ist in einer gewissen Weise gefährlich, wenn man sich nicht klarmacht, dass es ein Unterschied ist, ob ich in einem See schwimme oder in einem Fluss. Man muss bestimmte Regeln einhalten. Man sollte vorher einmal die Strecke an Land gegangen sein und wissen: Wo steige ich ein und wo steige ich aus? Wichtig ist, dass man sich klarmacht: Der Fluss ist stärker als ich, und es bringt nichts gegen den Fluss zu kämpfen, sondern ich lasse mich von dem Fluss leiten, bleibe ruhig und schwimme, ohne sich zu verausgaben, solange, wie es eben braucht, bis ich an Land bin.
Inwieweit sehen Sie denn das Schwimmen in öffentlichen Gewässern nicht nur als Vergnügen, sondern auch als eine Art politisches Statement?
Ruby: Das ist es ganz gewiss. In Basel kann man zum Beispiel nur deswegen schwimmen, weil der Fluss gesäubert wurde. Überhaupt ist es nur möglich, wenn die Wasserqualität grundsätzlich so gut ist, dass kein Gesundheitsrisiko stattfindet. Flussschwimmen gab es in der Schweiz seit dem Mittelalter, und es wurde auf einmal unmöglich in der Moderne durch die industrielle Verschmutzung. Ab den 30er-Jahren wurde das Flussschwimmen aus hygienischen Gründen nicht mehr empfohlen, und es brauchte eine Periode des Säuberns, um die Flüsse wieder zugänglich zu machen. Das Flussschwimmen war also eine gewisse Aufforderung an die Politik, für die Reinheit der Gewässer zu sorgen. In Basel ist das besonders ikonisch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass sich 1986 ein großer Chemie-Unfall in der Nähe der Stadt ereignet hat. Der hat das Wasser des Rheins für eine Woche rot verfärbt. Daraufhin hat die Bevölkerung die Politik in die Verantwortung genommen und gesagt: Ihr müsst die Industrie dazu bringen, dass sie das wieder aufräumt. Das hat die Industrie dann gemacht, und seitdem ist das Wasser des Rheins so sauber, dass Fische zu wenig Pflanzen finden, um sich dort zu ernähren. Es hat also zu einer Dezimierung des Fischbestandes, aber zu einer Maximierung der menschlichen Benutzung dieses Flusses geführt. Und das ist ziemlich toll.
Häufig ist zu beobachten, dass Menschen an Badeseen oder an Flüssen ihren Müll einfach liegen lassen. Der Nachhaltigkeitsgedanke, der Umweltgedanke ist nicht bei allen Menschen stark im Kopf verankert, oder?
Ruby: Das ist sicherlich ein Punkt, den Menschen lernen müssen: dass Dreck, den sie produzieren, andere wegräumen müssen. In der Schweiz ist das Eigenverantwortungsprinzip relativ gut ausgeprägt und es gibt auch eine relativ große soziale Kontrolle.
Was ist Ihre Beobachtung: Gehen viele Menschen raus und machen beispielsweise Flussschwimmen wie Sie?
Ruby: Ja, absolut. Das ist ein Volkssport. Das ist eine absolut hedonistische Art, den öffentlichen Raum zu genießen. Man spürt intuitiv, dass man nirgends so zentral in einer Stadt sein kann wie am Fluss, weil sich Städte im Mittelalter an den Flüssen gebildet haben - meist an einem Ufer, dann sind sie aufs andere Ufer übergewachsen. Gerade in Basel merkt man: In dem Moment, wo man im Fluss ist, kann man die Stadt erst richtig verstehen - mit der Dualität der beiden Hälften Großbasel und Kleinbasel. Man spürt einfach, dass es keine bessere Art gibt, in der Stadt selbst zu sein.
Es gibt auch einen anderen Aspekt, der wichtig ist: den, der tolerierten Nacktheit im öffentlichen Raum. Das würde man einem Land wie der Schweiz vielleicht nicht zutrauen, aber tatsächlich gibt es eine große Toleranz dafür, dass in der Sommerzeit Menschen halbnackt durch den öffentlichen Raum laufen. Man merkt, dass manchmal Touristengruppen aus Asien darüber kollektiv ihre Kinnladen fallen lassen, weil auf einmal eine große Menge von Menschen im Bikini am Fluss entlang laufen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass diese Leute die Tram oder einen Bus benutzen, um wieder zum Einstiegsplatz zurückzukommen, wenn das schneller geht. Da gibt es tatsächlich keine Empörungsstürme, sondern jeder versteht, dass es praktisch ist, sich an einem heißen Tag nicht ständig an- und auszuziehen.
Das Interview führte Julia Westlake.