Caren Heuer, Leiterin des Lübecker Buddenbrookhauses © Margret Witzke Foto: Margret Witzke
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AUDIO: "'Der Zauberberg' hat Thomas Mann politisch rehabilitiert" (5 Min)

"'Der Zauberberg' hat Thomas Mann politisch rehabilitiert"

Stand: 20.11.2024 15:55 Uhr

Heute vor 100 Jahren erschienen die ersten Exemplare von Thomas Manns Klassiker "Der Zauberberg". Der Bildungsroman hat im Leben vieler Kunstschaffender einen besonderen Stellenwert eingenommen. Aber was hat dieses Werk für Thomas Mann selbst bedeutet? Ein Gespräch mit Caren Heuer, die seit Februar 2024 das Buddenbrookhaus in Lübeck leitet.

Frau Heuer, ein "unförmiges Opus" hat Thomas Mann seinen "Zauberberg" selbst genannt - dabei ist dieser Roman zu einem Bestseller geworden. Welche Bedeutung hatte er für Thomas Manns Karriere?

Caren Heuer: Ich würde sagen, "Der Zauberberg" hat ihn politisch rehabilitiert. Thomas Mann hat 1912 angefangen, den "Zauberberg" zu schreiben. Als 1914 der Krieg ausbricht, muss er das alles an die Seite legen. Er muss sich jetzt über den Krieg, das Deutsche Reich, seine eigene deutsche Identität Gedanken machen und schreibt einen schrecklichen Text, "Betrachtungen eines Unpolitischen", in dem er sich den Krieg schönredet. Und als die "Betrachtungen" 1918, nur ein paar Tage vor Kriegsende erscheinen, ist er der Mann von gestern, der den Schuss nicht gehört hat. Er ist ein Reaktionär, ein Konservativer und steht ausgesprochen vertrottelt da in den frühen Jahren der Weimarer Republik.

Aber Thomas Mann ist klug genug, die Demokratie als große Chance zu begreifen. Diese ganze Reflektion über gutes politisches Gemeinleben fließt dann ein in den "Zauberberg". Als dieser Roman erscheint, der auch ein Hoch auf die Menschenliebe ist, auf den Humanismus, rehabilitiert er sich politisch, und der Roman wird ein unglaublicher Erfolg. Die Forschung ist sich sicher: Ohne den "Zauberberg" hätte er 1929 den Nobelpreis nicht bekommen.

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Wie hat sich die Rezeption vom "Zauberberg" heute, 100 Jahre später, verändert? Hat sie sich überhaupt verändert?

Heuer: Man sieht in der Rezeption Konjunkturen. Je nach dem, was gerade diskursiv im Zeitgeist die Welt beschäftigt hat, hat sich auch die Forschungsperspektive verändert. Zum Beispiel hat man sich in den 90er-Jahren besonders für die Geschlechterkonstellation im Roman interessiert, weil die Liebesgeschichte, die dort zwischen Mann und Frau erzählt wird, eigentlich sehr homoerotische Einschläge hat und dass diese Frau wahnsinnig androgyn ist. Das ist im Moment nicht so wahnsinnig faszinierend - dafür die Aktualität des Textes in jedweder politischer Hinsicht.

Alle diese Themen werden auch in der aktuellen Ausstellung im St.Annen-Museum in Lübeck behandelt, die Sie kuratiert haben. Was genau zeigen Sie da?

Heuer: Wir zeigen in sieben Stationen - sieben ist die magische Zahl des Romans - zuerst das Zeitgeschehen: In welchem historischen Zusammenhang entsteht der Roman? Was fließt alles in diese Textgenese ein? Dann reisen wir zusammen mit Hans Castorp auf den Berg und erzählen seine Geschichte, von der Ankunft, vom ersten Röntgenbild im Lungensanatorium, vom schicksalshaften Fiebermessen: Als er 37,5 Grad misst, ist klar, dass er dableiben muss. Wir erzählen von der Konfrontation mit dem Tod, dem Sterben im Sanatorium, das aber abseits stattfindet: Die Leichen werden immer beim Mittagessen den Berg runtergeschafft. Wir erzählen seine Liebesgeschichte und die großen politischen Auseinandersetzungen und Debatten des Textes, die sich nachher zu einer großen geopolitischen Metapher verdichten, die stellvertretend für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs steht.

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Und gibt es auch ein Grammophon?

Heuer: Es gibt selbstverständlich ein Grammophon - so richtig, wie man sich das vorstellt, mit größerer Tüte et cetera.

Muss man denn die tausend Seiten "Zauberberg" gelesen haben, oder reicht es, wenn man grob was vom Grammophon und dergleichen mal gehört hat, um die Ausstellung zu besuchen?

Heuer: Sie müssen den Roman auf gar keinen Fall gelesen haben. Sie müssen sich für ihn ein bisschen interessieren - das wäre ganz schön. Ansonsten ist die Ausstattung so brillant, dass sie die Faszination erwecken kann, aber Sie müssen den Roman auf gar keinen Fall gelesen haben. Und wenn Sie es vor langer Zeit getan haben und sich nur vage erinnern, ist das auch ganz gut. Dann werden Sie kleine Details entdecken, die Ihnen Freude machen werden. Aber auch alle, die den Text nicht kennen, sind in dieser Ausstellung sehr gut aufgehoben.

Das Gespräch führte Keno Bergholz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 20.11.2024 | 09:20 Uhr

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