Denker und Zweifler: Schauspieler Edgar Selge ist 75 geworden
Edgar Selge gehört zu den bekanntesten Schauspielern des Landes: In Hamburg sorgte sein Solo im Stück "Unterwerfung" am Schauspielhaus für ausverkaufte Säle, im Polizeiruf spielte er den Kommissar Tauber. Seit zwei Jahren ist Selge auch noch Schriftsteller.
"Während ich auf meinen Tod wartete, blieb mir nur noch eins, der Wahlkampf!"
Mit diesem Text aus seiner Theaterfassung von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" am Deutschen Schauspielhaus schrieb Edgar Selge ein Stück Theatergeschichte. Es ist das Solo eines Verführbaren, eines gealterten weißen Mannes.
"Ich war unfähig, für mich selbst zu leben, und für wen hätte ich sonst leben sollen? Die Menschheit interessierte mich nicht. Sie widerte mich sogar an."
"Man wartet darauf, mit einem solchen Text auf die Bühne zu gehen, weil es fürs Theater nichts Schöneres gibt als über Dinge zu sprechen, die uns in der Wirklichkeit, in unserem gesellschaftlichen Leben Tag für Tag beschäftigen", sagt Edgar Selge. Er spielt gebrochene, gejagte, verwundete, lauernde Charaktere. Selten die strahlenden Helden oder die Sympathen. "Ich bin als Prinz von Homburg nicht besetzt worden, ich bin auch nicht als Hamlet besetzt worden, sondern eben eher mit Jago. Ich habe nie Romeo gespielt!", resümiert er.
Kultfigur Kommissar Tauber machte ihn berühmt
Was ihm liegt: geheimnisvolle Einzelgänger wie der einarmige Kommissar Tauber im Polizeiruf. Es ist eine Kultfigur, die ihn berühmt gemacht hat.
Edgar Selge ist der Nachdenkliche, der Zweifler unter den deutschen Schauspielern. Er will uns hineinverführen, wie er es sagt, etwa in die Welt von Goethes Faust. "Ich habe gemerkt, alles, was dich bedrückt, was dich mutlos macht, was dir die Lebenslust verbaut, das ist alles schon formuliert, das gibt es alles. Du findest da einen ungeheuren Trost in diesen Theaterfiguren, die mit ihrer großen Verzweiflung dir die Hände reichen und sagen: 'Komm, das Leben ist so!'"
Edgar Selge und Ehefrau Franziska Walser engagieren sich
Und in das gesellschaftliche Leben mischt er sich auch ein. 2022 unterschrieb er den Offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, aus Sorge vor einem Dritten Weltkrieg. Zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Franziska Walser, engagiert er sich für psychisch kranke Menschen. Lachen kann man mit Edgar Selge auch, wie im Film "Reine Geschmackssache".
Roman "Hast du uns endlich gefunden" wurde Bestseller
Sein Vater war Direktor der Jugendstrafanstalt Herford. Zwei seiner Brüder starben im jungen Alter, der eine schon in den Vierzigerjahren, bei der Explosion eines Blindgängers. Diese Erfahrungen flossen in seinen ersten Roman ein, "Hast du uns endlich gefunden", ein Besteller von 2021. "Das Besondere an diesem Buch ist, dass es ein Kind erzählt, und dieses Kind erzählt von seinen Traumata. Das sind eigentlich so die beiden Pole in dem Leben dieses Jungen, der Eindruck des Gefängnisses und der Eindruck der Musik. Und dieses Kind ist ein ferner Bruder von mir", sagt Selge.
Die Kunst, sagt Edgar Selge, macht auch einsam. "Jeder Mensch, der anfängt zu versuchen, sich auszudrücken, ob über Bilder, Musik, Tanz oder Sprache oder Schreiben, stellt fest, dass er einzigartig ist, einzigartig einsam, aber auch einzigartig befähigt." Und die Gemeinschaft, sagt er, besteht aus lauter Einzigartigkeiten. Das mache uns zum Menschen.