60 Jahre NDR Jazz Konzerte: Newcomer und Stars
Mit dem "Sonderkonzert" wird das 60-jährige Jubiläum der mehr als bemerkenswerten Reihe NDR Jazz Konzerte gefeiert. Claudia Schober aus der NDR Jazzredaktion ist verantwortlich für dieses Format.
Frau Schober, was macht diese Reihe eigentlich so bemerkenswert?
Claudia Schober: Zum einen ist es natürlich die lange Zeit der Beständigkeit - es geht aber auch um die Geschichte der Reihe. Denn sie wurde 1958 von Hans Gertberg gegründet, und der hatte sich zur Prämisse gesetzt: "Keine Musik vom Fließband!" Sein Ziel war es, für jedes einzelne Konzert eigene Bands zusammenzustellen. Er hat Künstler unterschiedlicher Herkunft und mit verschiedenen Vorlieben gesucht, hat die eine Woche lang proben lassen im NDR, und dann gab es ein Konzert, das vor Publikum aufgezeichnet wurde. Diese Geschichte ist schon sehr besonders. Bei dem ersten NDR Jazz-Workshop war zum Beispiel jemand wie Albert Mangelsdorff oder Attila Zoller dabei. Das waren Leute, die sehr prägend den Jazz weitergeführt und weiterentwickelt haben. Sie haben in diesen Jazz-Workshops die Chance genutzt, sich gegenseitig zu beschnuppern, sich auszuprobieren, sich kennenzulernen und ihre Horizonte zu erweitern.
Liest man heute, wer im Laufe der sechs Jahrzehnte zu Gast war, dann schüttelt man immer wieder ungläubig den Kopf: Es war das Who's who des Jazz. Wie ist es der NDR Jazzredaktion gelungen, diese Menschen zu Konzerten zu bewegen und oft über Jahre an sich zu binden?
Schober: Am Anfang war es bei Hans Gertberg diese Idee. Die Musiker waren davon begeistert. Es gab damals 100 Mark für ein Arrangement - das ist für Jazzmusiker eine unglaubliche Menge Geld gewesen, die sonst eher in der Nacht gearbeitet und sich am Tag noch mit anderen Sachen ihr Zubrot verdient haben. Das war attraktiv. Seit 1971 hat Michael Naura die Jazz-Reihe weitergeführt, der ein etwas anderes Konzept hatte: Er hat vor allen Dingen junge, unbekannte Künstler eingeladen und hat dabei ein phänomenales Näschen bewiesen. Er hat zum Beispiel Keith Jarrett schon 1972 hier im NDR gehabt - damals war dieser gerade mal 27 Jahre alt, und das war lange vor seinem legendären "Köln Concert". Auch jemand wie Pat Metheny war hier - da war er gerade 21 Jahre alt und total grün hinter den Ohren.
Michael Naura ist selbst eine Jazz-Legende - wie hat das aufeinander abgefärbt?
Schober: Das, was Michael Naura ausgemacht hat, war dieses Bauchgefühl: Er wusste, was gut war, er hat das einfach irgendwie gerochen. Sein Credo war immer: Weshalb Zwangsehe, wenn Liebesheirat möglich ist? Deswegen hat er sich auch irgendwann gegen dieses Konzept von Hans Gertberg entschieden und es in eine andere Richtung entwickelt. Er hat es genossen, wenn eingespielte Bands zu Gast waren, die auf Tour waren, die einfach funktioniert haben. Das war sicherlich etwas, was er als Musiker auch selber zu schätzen gelernt hat. Er war übrigens selber auch schon bei Gertberg als Künstler dabei.
Nun ist das Ganze NDR Archiv sehr voll mit all diesen Juwelen, Raritäten und Schätzen. Vergammelt es da - oder kriegen wir das ab und zu auch noch zu Gehör?
Schober: Nein, zum Glück vergammelt es nicht. Es ist immer schwierig, aber wir als Jazzredaktion haben in diesem Jahr zum Beispiel ganz bewusst immer wieder Sachen ausgegraben: Es gab jeden Montag etwas aus den Archiven zu hören. Es gibt aber auch immer wieder lange Jazz-Nächte, in denen wir das alles ausgraben und noch einmal zu Gehör bringen. Es gibt auch ein paar Sachen, die immer wieder auf CD erscheinen - aber das sind leider nur die Ausnahmen. Das liegt aber nicht daran, dass wir sie nicht hergeben, wie manchmal behauptet wird. Es liegt daran, dass wir als NDR diese Aufnahmen senden, aber nicht weitergeben und veröffentlichen dürfen. Das muss immer über ein professionelles Label geschehen, und da ist es manchmal etwas schwierig, die entsprechenden Vertriebspartner zu finden. Aber im Radio kann man diese Konzerte immer wieder mal hören. Es gibt ja auch die Jazz-Hörerwünsche, in denen man sich bestimmte Sachen jederzeit wünschen kann.
Der Michael Naura heutiger Tage heißt Stefan Gerdes - er leitet seit einigen Jahren die Jazzredaktion, und die Konzerte haben wieder einen etwas anderen Dreh bekommen. Wie sind Sie derzeit aufgestellt?
Schober: Momentan findet diese Konzertreihe sieben Mal im Jahr statt: Es sind Doppelkonzerte mit zwei Bands, und wir versuchen immer noch - so wie das auch Michael Naura damals probiert hat -, junge Leute zu entdecken. Manchmal gelingt das auch ganz schön. Leute wie Émile Parisien oder Vincent Peirani, die heute im Jazz sehr angesagt sind, hatten ihre ersten Deutschlandauftritte im Rolf-Liebermann-Studio, als sie noch niemand kannte. Peirani war zum Beispiel zusammen mit Michel Portal zu Gast, der auch schon seit den 60er-Jahren immer wieder bei uns dabei ist. An seiner Seite konnte dieser junge Musiker seine Deutschlandpremiere feiern - und heute kennt ihn jedermann. Aber auch der Bassist und der Trompeter vom Avishai Cohen Trio haben bei uns gespielt, lange bevor sie ihre großen Durchbrüche hatten. Das freut uns und macht uns natürlich auch manchmal ein bisschen stolz.
Das Interview führte Jürgen Deppe