Auf der Suche nach dem besonderen Licht im Norden Europas
Nördlich des Polarkreises geht die Sonne in diesen Wochen gar nicht mehr auf. Der Fotograf Jan Scheffler ist dort in diesen Tagen unterwegs und nutzt bewusst das letzte bisschen Dämmerlicht zum Fotografieren.
Herr Scheffler, fast hätte ich "Guten Tag" gesagt - aber fühlt sich denn der Tag dort oben inzwischen noch als solcher an?
Jan Scheffler: Das ist eine absolut berechtigte Frage. Für mich fühlt sich das nach Abend an. Es ist noch ein ganz schwaches Licht zu sehen. Ich bin in der Nähe von Hammerfest, und die Stadt ist erleuchtet, und ich sehe eine schöne Abendstimmung.
Wie war denn das Licht heute für Sie zum Fotografieren? Sie haben gesagt, dass es ein bisschen dämmrig ist.
Scheffler: Es ist jetzt noch ganz schwaches Licht zu sehen. Die Zeitspanne wird jetzt immer kleiner, weil die Sonne bis zum 20. Dezember noch tiefer sinkt, wo dann die Sonnenwende ist. Heute konnte ich eigentlich nicht fotografieren, weil es so stürmisch war, dass ich keine Langzeitbelichtung machen konnte, ohne dass es verwackelt wurde. Das sind die Gegebenheiten, die ich hier gerade vorfinde und damit auch zurechtkommen muss.
Was sie als Fotokünstler machen, kann man schon als extrem bezeichnen. Was spüren Sie, wenn Sie das nordische Licht suchen?
Scheffler: Bei meiner ersten Reise vor vielen Jahren ist sofort etwas bei mir im Inneren ausgelöst worden: ein Gefühl, eine tolle Stimmung, fast ein Berühren meiner Seele. Das war ein ganz toller Moment. Dieses nordische Licht reizt mich zu jeder Jahreszeit. Die Polarnacht war noch auf meiner Wunschliste, und dieses Jahr erfülle ich mir das, dass ich zu der Zeit hier bin.
Was haben Sie in diesen Tagen fotografiert, das Sie glücklich gemacht hat?
Scheffler: Das Licht, gerade zu der Zeit der Polarnacht, wo die Sonne immer weiter hinterm Horizont verschwindet - da passiert rein physikalisch etwas Besonderes: Die langwelligen Strahlen werden eliminiert und das blaue Licht wird sichtbar. Die Landschaft wird in einem fantastischen, weichen, blauen Licht getüncht. Das ist etwas, was ich so auch noch nicht erlebt habe. Fotografisch reizt mich das natürlich. Diese Landschaft ist noch ein Stück weit unberührt, und dieses Licht zeichnet die Landschaft jedes Mal wieder neu, je nach Intensität. Zurzeit ist das Licht sehr leise - es gab aber in der Zeit, wo ich jetzt hier oben bin, auch schon zwei, drei Tage, wo das Licht regelrecht laut war. Es war eine große Intensität am südlichen Horizont zu erkennen, und das reizt mich. Das ist ein großes Geschenk für mich, dass ich das hier erleben darf.
Das mit der unterschiedlichen Wellenlängen kennt man auch in unseren Breiten, dass Schneelandschaften im abnehmenden Licht eine bläuliche, manchmal auch lilafarbene oder grünliche Färbung haben.
Scheffler: Das ist richtig. Das passiert, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Die Sonnenstrahlen haben einen längeren Weg durch die Atmosphäre, und dort wird das Licht unterschiedlich gebrochen und reflektiert. Selbst in Deutschland haben wir auch für einen ganz kurzen Moment mitunter so eine bläuliche Stimmung. Vor allen Dingen, wenn Schnee liegt, dann reflektiert das noch einmal mehr. Aber hier oben ist es doch noch mal anders: Es ist eine lange Phase, wo ich dieses Dämmerlicht, dieses blaue Licht erfahre. Und wenn ich in Richtung Süden gucke, dann ist es nicht blau, sondern auch warm, rötlich, wie wir uns einen Sonnenuntergang vorstellen. Das ist für mich noch mal eine andere Erfahrung, das ist noch mal anders als ein Sonnenuntergang, wie ich ihn kenne, es ist intensiver. Aber die Farben, die Sie beschrieben haben, sind genau die, die zu sehen sind.
Sie sind schon seit Tagen nördlich des Polarkreises unterwegs. Sie schlafen im Auto in dickster Kleidung - wie kalt wird es nachts überhaupt?
Scheffler: Das ist ganz unterschiedlich. Ich erlebe zurzeit sehr starke Temperaturschwankungen. Ich bin jetzt seit knapp zwölf Tagen unterwegs, und in der dritten Nacht waren es 30 Grad minus. Heute Nacht wurden auch wieder 24 Grad minus erreicht. Das ist für die Verhältnisse hier oben normal. Aber ich hatte auch schon Tage, wo es "leider" nur vier, fünf, sechs Grad minus waren. "Leider", weil ich diese Kälte besonders liebe, weil das auch eine tolle Erfahrung ist.
Ist das das Extremste, was Sie bisher als Fotograf gemacht haben?
Scheffler: Ich habe schon mal Temperaturen von minus 39 Grad gemessen, und als ich dann die Landschaft fotografieren gegangen bin, vermute ich, dass es durchaus auch die 40-Grad-minus-Marke erreicht hat. Das ist natürlich eine physische Herausforderung, aber das Entscheidende ist die richtige Kleidung. Ich brauche auch mehrere Akkus, weil unter diesen Bedingungen so ein Akku für die Kamera vielleicht eine halbe Stunde hält, wenn überhaupt.
Das Interview führte Philipp Cavert.